Das Pestkind: Roman (German Edition)
dem feuchten Rasen. Leichter Nieselregen fiel aus tiefhängenden Wolken, die den Blick auf die Alpen verwehrten.
»Langsam hält der Herbst Einzug«, sagte Pater Johannes, während sie in die warme Klosterküche traten. Keiner von beiden hatte das Bedürfnis, das Morgenmahl mit den anderen Mönchen einzunehmen.
Pater Johannes löffelte Haferbrei in eine Schale, stellte sie vor den Abt und sah ihn mitleidig an.
Wie glücklich war sein Freund gewesen, als er Margit in dem Brunnen gefunden hatte. Tagelang war er nicht von ihrem Krankenlager gewichen und hatte hoffnungsvoll auf ihre geschlossenen Augen geblickt, aber das Mädchen wollte einfach nicht erwachen. Sie atmete, sah aus, als würde sie schlafen, doch sie kam nicht zu sich.
Er schenkte sich einen Becher warmes Dünnbier ein, setzte sich und wechselte das Thema.
»Wollte heute nicht Maurus Friesenegger bei uns eintreffen?« Pater Franz nickte.
»Ja, heute oder morgen. Auf ihn freue ich mich schon. Er ist auf dem Rückweg nach Hause und wird bei uns Rast machen, bis die Straßen rund um München sicherer geworden sind. Er wollte nicht mehr länger in Salzburg weilen.«
Pater Johannes bemerkte sofort die Veränderung in Franz’ Gesicht. Maurus war ein langjähriger Freund, seine Anwesenheit würde ihm guttun. Gewiss würden die beiden wieder stundenlang in Gespräche vertieft sein. Und auch er freute sich auf die Neuigkeiten, die der Abt von Kloster Heiligenberg zu berichten hatte.
Später am Tag saß Pater Franz erneut an Margits Krankenbett und blickte nachdenklich auf das Gesicht der jungen Frau. Ihr lockiges Haar lag zu einem Zopf geflochten neben ihr auf dem Kissen. Im Raum duftete es nach Kamillenseife, eine Waschschüssel stand auf der winzigen Kommode neben dem Bett, darüber hing Christus am Kreuz und wachte über die Kranke.
Sie war wach gewesen, als sie sie aus dem Brunnen gezogen hatten. Sie hatte unverständliche Dinge gefaselt, während ihr Speichel und Blut aus dem Mund liefen. Sofort hatten sie sie hierhergebracht und nach dem Medikus gerufen. Doktor Bachmaier war ein erfahrener Mann und hatte einen guten Ruf, aber mehr als zur Ader lassen war ihm nicht eingefallen. Von inneren Blutungen hatte er gesprochen, vielleicht einem harten Schlag auf den Kopf.
Dafür hätten sie keinen Medikus benötigt, der für die Behandlung eine so hohe Summe in Rechnung stellte, die an Wucher grenzte. Margit war es danach eher schlechter gegangen, und irgendwann war sie in diesen undefinierbaren Zustand gefallen.
Wenn sie nicht bald aufwachte, dann würde sie sterben, das wusste Franz. Regelrecht verdursten würde sie vor ihren Augen, und sie konnten nichts dagegen tun.
Er hatte sich Gedanken darüber gemacht, wie Margit in den Brunnen gefallen war. Josef Miltstetter behauptete steif und fest, nichts davon gewusst zu haben. Seit Tagen hatte er sie bereits gesucht und vermutet, dass sie fortgelaufen sei. Pater Franz hatte den blonden Mann mit den eng beieinanderstehenden Augen misstrauisch gemustert. Er wusste, dass dieser seine Finger auch beim Mord an Hedwig im Spiel gehabt hatte. Um die Brauerei war es ihm gegangen, ihm und wohl auch dem Büttel. Doch er konnte den beiden nichts beweisen. Gewiss hatte er das Mädchen in den Brunnen geworfen, um sie zum Schweigen zu bringen.
Warum Gott solche Menschen nicht strafte, verstand er nicht. So viele gottesfürchtige Menschen waren in den letzten Jahren ums Leben gekommen, doch Sünder wie Josef Miltstetter hatten das Quentchen Glück, das den anderen fehlte. Sie hatten dem Teufel ihre Seele verkauft. Es musste so sein, eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
Traurig erhob er sich und strich dem Mädchen zum Abschied über den Arm.
»Lass mich nicht im Stich. Wir brauchen dich, hörst du. Du musst kämpfen. Bitte gib nicht auf.«
Kurze Zeit später verließ er das Kloster und machte sich auf den Weg nach Rosenheim. Auf der Straße herrschte reger Betrieb. Es war Markttag, und viele Bauern und Händler der Umgebung hatten sich auf den Weg gemacht. Schreiner und Metallwarenhändler, Bürstenmacher, Bauern, Kerzenzieher, Gerber und Tuchhändler zogen in die Stadt. Zusätzlich waren noch viele Fuhrwerke mit Salz und Getreide unterwegs. Schnaubende Pferde trabten an ihm vorbei. Er hielt sich möglichst weit am Wegrand, damit er nicht unter die Räder geriet.
Frauen mit großen Körben, Kinder an der Hand, die hofften, auf dem Markt etwas Günstiges zu ergattern, liefen hastig an ihm vorbei. Eine
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