Das Pestkind: Roman (German Edition)
dem Klosterhof gesehen hatte, konnte er nicht wissen. Es war besser, ihm diese Episode zu verschweigen.
Maurus Friesenegger hatte seinen Freund den ganzen Abend über beobachtet, und ihm waren die Veränderungen an Pater Franz nicht verborgen geblieben. Der Abt des Rosenheimer Klosters war ihm stets wie ein Fels in der Brandung erschienen. Ein Mensch, der jeder Aufgabe trotzte – und mochte sie auch noch so schwer sein. Doch jetzt sah er müde und mitgenommen aus. Seine Augen hatten jeden Glanz verloren, lagen tief in den Höhlen, und er wirkte blass und abgemagert.
Behutsam legte er seine Hand auf Franz’ Arm und sah ihn ernst an.
»Ihr habt Euch sehr verändert, mein Freund, wirkt müde und abgespannt, als würde ein großer Kummer auf Euren Schultern lasten. Wollt Ihr es mir nicht erzählen? Vielleicht kann ich Euch einen Rat geben oder anders helfen.«
Pater Franz seufzte. Wie hatte er auch nur einen Moment annehmen können, dass er seinem alten Freund Maurus etwas vorspielen konnte.
»Das ist aber eine längere Geschichte«, antwortete er.
Der Abt von Heiligenberg lehnte sich zurück.
»Ich habe Zeit.«
Am nächsten Morgen machten sich die beiden Äbte nach Rosenheim auf. Es war ein sonniger und ruhiger Tag. Kaum jemand war auf den Straßen unterwegs. Nur ab und an fuhr ein Fuhrwerk an ihnen vorbei, und einige Frauen wuschen an dem kleinen Flüsschen unterhalb des Münchener Tors ihre Wäsche. Am Himmel zeigte sich keine Wolke, manche Gipfel der Berge, die in der Ferne thronten, waren bereits weiß gezuckert und kündeten den nahenden Winter an.
»Hübsch ist es hier«, sagte Maurus und schaute sich freudig um, als sie den Inneren Markt betraten, auf dem es heute eher ruhig war. Die Marktstände von gestern waren abgebaut worden. Die beiden statteten dem Stadtpfarrer einen Besuch ab und aßen mit ihm zu Mittag. Pater Franz genoss die Abwechslung, die der Besuch seines Freundes mit sich brachte. Durch das vertrauensvolle Gespräch fühlte er sich gestärkt. Maurus hatte Verständnis gezeigt, hatte einige Vorschläge gemacht und vor allem zugehört. Spät in der Nacht waren sie sogar noch einmal zu der armen Kranken gegangen, die unverändert mit geschlossenen Augen dalag, und hatten an ihrem Bett gebetet.
Nach dem Mittagsmahl wanderten die beiden zum Flussufer. Der Inn war in sein altes Bett zurückgekehrt und schimmerte wie immer grün im Sonnenlicht. Einige Schifffahrer waren am anderen Ufer mit ihren Booten unterwegs und winkten den beiden Mönchen freundlich zu.
»Es wirkt alles so friedlich, als hätte es den Krieg niemals gegeben«, sagte Maurus auf dem Rückweg.
Pater Franz seufzte.
»Ich weiß manchmal gar nicht mehr, wie das Leben ohne Krieg aussieht.«
Maurus machte eine weit ausholende Geste.
»Vielleicht ein wenig wie der heutige Tag.«
Pater Franz nickte lächelnd.
»Ja, vielleicht ein wenig.« Sie betraten den Innenhof des Klosters.
»Und wir wollen hoffen, dass jetzt wieder viele solcher Tage folgen werden und auch auf dem Heiligen Berg Frieden und Ruhe Einzug halten.« Maurus Friesenegger seufzte.
»Dafür bete ich jeden Tag. Allzu schrecklich wäre es für mich, mein geliebtes Zuhause zu verlieren.«
Nach der Vesper zog sich Maurus in seine Zelle zurück, während sich Pater Franz in die Küche zu Pater Johannes setzte, um mit ihm einen Becher Bier zu trinken und über den Tag zu sprechen. Häufig saßen die beiden in den Abendstunden noch beisammen. Franz liebte die Gerüche, die diesem Raum seinen Charakter gaben. Frisch gebackenes Brot lag zum Abkühlen auf einem Regal hinter dem Ofen, und getrocknete Kräuter hingen von der Decke herab.
Der heutige Tag war schön gewesen, hatte ihn aber auch erschöpft. Nur noch mit einem Ohr hörte er zu, als Johannes ihm davon berichtete, dass er heute bei der Apfelernte beinahe von der Leiter gefallen wäre und danach stundenlang Kompott eingekocht hatte, das gewiss den ganzen Winter reichen würde.
Irgendwann fielen Pater Franz die Augen zu, und er nickte ein. Plötzlich wurde die Tür zur Küche aufgerissen, und zwei Mönche betraten laut polternd den Raum.
»Maurus ist niedergeschlagen worden«, riefen sie aufgeregt.
Sofort eilten die beiden hinter den Mönchen her und betraten Maurus Frieseneggers Kammer. Der Abt saß am Tisch und drückte sich einen Lappen an die Stirn. Er war etwas blass, wirkte aber wohlauf. Erleichtert lief Pater Franz zu ihm.
»Maurus, mein Freund. Was ist denn passiert?«
Pater Johannes
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