Das Pestkind: Roman (German Edition)
Gruppe Zigeuner zog tanzend und lachend an ihm vorüber. Die Frauen hatten sich bunte Bänder ins Haar geflochten. Sie wirkten befremdlich auf ihn, doch sie winkten so fröhlich, dass er lächeln musste. Es duftete nach frischem Getreide, Pferdemist und feuchtem Gras. Er atmete tief durch. Er tauchte gern in diese Art von Leben ein. Seitdem die Schweden abgezogen waren, war es wieder lebendiger geworden. Immer mehr Leute trauten sich in die Stadt, um ihre Waren feilzubieten. Der Salz- und Getreidehandel hatte wieder zugenommen, und auch auf dem Inn waren die Boote zahlreicher geworden. Es war sogar die Rede davon, dass der Krieg bald enden könnte. Doch daran wollte er nicht glauben. So oft hatten die Menschen bereits gehofft, dass es endlich vorbei sein würde – und dann wurde die zarte Pflanze der Hoffnung wieder mit harter Hand zerstört.
Am Münchener Tor kam der bunte Zug ins Stocken. Der Torwächter kontrollierte genau, wer in die Stadt wollte. Langsam schob sich der Geistliche an den vielen Fuhrwerken vorbei, nickte dem Tormann kurz zu und betrat den Inneren Markt. Gackernd rannte eine Schar Gänse an ihm vorbei, gefolgt von zwei verzweifelten Kindern, die aufgeregt versuchten, ihre Ware wieder einzufangen. Lachend blickte ihnen der Mönch nach und ließ sich von den Menschen zwischen die Stände schieben. Am Ende des Platzes bog er in eine schmale Seitengasse ab und erreichte kurz darauf den Salzstadel, auf dem in den weitläufigen Lagerhallen eifrig gewogen und verhandelt wurde. Sogar die Anzahl der Huren schien gestiegen zu sein. Mehr oder weniger hergerichtet, standen sie zwischen den Wagen und machten den Männern schöne Augen oder riefen ihnen anzügliche Bemerkungen hinterher.
Vor ihm tauchte das Stadtgefängnis auf. Seufzend ging er darauf zu.
Einmal in der Woche besuchte er Anderl. Er tat es nicht gern, aber Marianne zuliebe musste er sich um den Jungen kümmern. Wenn er ihn schon nicht freibekam, dann musste er ihm wenigstens Gesellschaft leisten, ihm zuhören und ihn trösten.
Karl saß, wie immer die Füße auf dem Tisch, in seiner winzigen Wachstube, als der Mönch eintrat. Sofort sprang er auf.
»Grüß Gott, Hochwürden«, begrüßte er den Mönch und griff nach seinem Schlüssel. »Na, ist wieder eine Woche rum?«
Pater Franz erwiderte den Gruß und folgte dem Mann schweigend die Treppe hinauf. Wieder einmal versuchte er, den üblen Geruch, den Karl verströmte, zu ignorieren. Im ersten Stock ging es den langen, engen Flur hinunter, an dessen Ende Anderls Zelle lag. Dieser lange düstere Gang weckte in Pater Franz bereits die Beklemmung, die ihn in Anderls winziger Zelle jedes Mal fast um den Verstand brachte.
Wie immer verabschiedete sich der Wärter mit den Worten, dass er in einer halben Stunde zurückkommen würde. Pater Franz nickte und betrat den winzigen Raum.
Anderl saß auf seinem Bett, blickte teilnahmslos vor sich hin, und auf der Fensterbank und dem Tisch standen die Strohtiere. Pater Franz setzte sich neben ihn und bemühte sich, aufmunternd zu lächeln.
»Grüß Gott, Anderl. Da bin ich. Ich habe doch versprochen wiederzukommen. Weißt du noch?«
So begrüßte er ihn in der letzten Zeit immer, doch Anderl reagierte kaum. Meistens sagte er gar nichts. Am Anfang hatte er noch Tiere geflochten, doch das tat er jetzt auch nicht mehr.
Betreten schaute der Abt sich um. Es war kühl. Das Fenster hatte keine Scheibe, und natürlich gab es keine Möglichkeit zu heizen. Im Winter musste es hier unerträglich sein. Wieder einmal versuchte er, über die Strohtiere ein Gespräch zu beginnen.
»Deine Tiere sind sehr hübsch geworden«, sagte er und wusste eigentlich schon, dass er keine Antwort bekommen würde. Anderl starrte weiter vor sich hin.
»Marianne hätten sie bestimmt gefallen.«
Er hoffte, ihn mit dem Namen seiner Stiefschwester aus der Reserve zu locken. Als auch das nicht funktionierte, begann er einfach irgendetwas zu erzählen. Dinge, die ihm gerade einfielen. Er berichtete vom Markt, beschrieb ihm die vielen Stände und erzählte von den Kindern, die ihre Gänse jagten. Er erzählte von den Schiffen auf dem Inn und davon, dass sie wieder zahlreicher geworden waren. Er wusste, dass Anderl die Schifffahrt liebte, oft stundenlang am Flussufer gestanden hatte und am liebsten mitgefahren wäre. Doch auf dem Gesicht des Jungen zeigte sich keine Regung. Der Abt gab auf. Schweigend saßen sie nebeneinander. Franz war die Veränderung an Anderl nicht entgangen. Der
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