Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
Vom Netzwerk:
Augen.
    »Wenn die Zeit um ist, dann habt Ihr zu gehen.«
    Pater Franz warf Anderl einen langen Blick zu, doch der Junge schien wieder in seiner eigenen Welt versunken zu sein. Enttäuscht erhob er sich und trat in den muffigen Flur. Karl folgte ihm. Doch genau in dem Moment, als er die Tür schließen wollte, rief Anderl laut:
    »Wartet!«
    Verblüfft sah der Wärter den Jungen an. Der Bengel konnte tatsächlich sprechen.
    Pater Franz’ Herz schlug vor Aufregung schneller.
    Anderl saß auf dem Bett und sah dem Abt in die Augen.
    »Warum hast du ihr nicht geholfen?«
    Verwirrt sah Karl den Mönch an.
    Der Abt erwiderte den Blick des Jungen.
    »Wenn das in meiner Macht gestanden hätte, dann glaube mir: Ich hätte es getan.«
    Der Wärter schloss unerbittlich die Tür, und Anderls fragendes Gesicht verschwand, was Pater Franz in diesem Moment sogar als Erleichterung empfand.
    Für Anderl mussten seine Worte wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein, denn jede Hoffnung, Marianne wiederzusehen, war endgültig zerstört.
     
    Im unteren Flur schlurfte Karl in seine Kammer. Pater Franz folgte ihm. Er musste den Wärter auskundschaften. Es war wichtig, so viele Informationen wie möglich zu sammeln.
    Karl sah ihn verwundert an.
    »Was wollt Ihr noch, Mönch?« Pater Franz ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Erst jetzt fiel ihm die Tür neben dem winzigen Holzofen auf. Wahrscheinlich lag dahinter die Schlafkammer des Wachmanns. Karl hängte seine Schlüssel an einen Haken an der Wand.
    »Ich wollte Euch bitten, den Jungen bis zu seiner Hinrichtung besser zu behandeln. Ich bezahle auch dafür.«
    Karl zog die Augenbrauen hoch.
    »Er hat unsere beste Zelle.«
    »Das reicht mir nicht«, antwortete Pater Franz. »Ich will, dass er jeden Tag warmen Tee bekommt und eine wärmere Decke. Er ist krank.«
    »Wir sind kein Gasthof«, brummelte der Wärter.
    Pater Franz warf zwei Goldmünzen auf den Tisch.
    Gierig griff Karl danach.
    »Also gut. Ich werde sehen, was ich tun kann.«
    »Ich werde wiederkommen und es überprüfen«, erwiderte der Abt.
    Karls Miene wurde plötzlich nachdenklich.
    »Warum ist Euch der Bursche so wichtig? Er ist ein Mörder, nichts weiter.«
    »Nennt es Nächstenliebe«, erwiderte Pater Franz und wandte sich zum Gehen. »Gott zum Gruß.«
    »Nächstenliebe«, murmelte der Wärter, »dass ich nicht lache.«
    Pater Franz zog die Tür hinter sich zu und stellte zu seiner Freude fest, dass an der Außentür der Schlüssel steckte. Rasch sandte er ein Dankgebet zum Himmel. Karl machte es Einbrechern leicht. Eilig zog er den Schlüssel ab und ließ ihn in seine Rocktasche gleiten.
    *
    Dunkelheit lag über den Feldern und Wegen, als Franz und Johannes einige Stunden später durch einen Seitenweg in die Stadt schlichen. Die Tore waren verschlossen und wurden streng bewacht, denn marodierende Banden zogen noch immer durch die Wälder und Dörfer, die die Stadt umgaben. Es gab jedoch viele Möglichkeiten, ungesehen in die Stadt zu kommen, besonders dann, wenn man sich auskannte. Es war eine kalte, trockene Nacht, Wolkenfetzen zogen über den Himmel, der Mond war fast voll. Sein gespenstisches Licht erhellte die Straße. Es war totenstill, sogar die Gasthäuser hatten um diese Zeit geschlossen. Die beiden Mönche hatten ihre Kapuzen weit ins Gesicht gezogen und hasteten durch die Laubengänge. Pater Franz’ Hände zitterten vor Aufregung, und seine Schritte kamen ihm störend laut vor. Jetzt, wo ihr Einbruch ins Gefängnis kurz bevorstand, packte ihn doch die Angst. Was war, wenn sie entdeckt wurden? Johannes’ Worte kamen ihm in den Sinn. Sie würden den Orden in Mitleidenschaft ziehen. Wahrscheinlich würde man über ihre Tat sogar in München sprechen. Was würde Maurus denken, wenn er davon erfuhr?
    Sie erreichten den Salzstadel. Die Lagerhäuser waren geschlossen. Zwei Laternen malten Lichtkreise auf das feuchte Pflaster, und es war seltsam, den Platz so still und menschenleer vorzufinden. Vor dem Gefängnis blieben sie stehen. Pater Johannes warf seinem Freund einen langen Blick zu. Der Abt nickte. Unruhig schaute er um sich, zog den Schlüssel aus der Rocktasche und steckte ihn vorsichtig ins Schloss. Die Tür öffnete sich quietschend. Auf Zehenspitzen schlichen die beiden Mönche in den dunklen Flur. Pater Franz legte einen Finger auf die Lippen und deutete auf die geschlossene Tür zur Wachstube. Vorsichtig drückte er die Klinke nach unten, die Tür öffnete sich. Stickige, nach Tabak und Holzrauch

Weitere Kostenlose Bücher