Das Pestkind: Roman (German Edition)
für sie«, fragte eine Stimme hinter ihnen.
Erschrocken drehten sich die beiden um.
Richter Lichtenberg stand vor ihnen und musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Er deutete die Straße hinunter.
»Wer ist da gerade abgefahren?«
Pater Franz erholte sich als Erster von dem Schrecken.
»Margit, das Mädchen, das für Anderl aussagen wollte.«
Constantin von Lichtenberg legte den Kopf schräg.
»Warum reist sie ab?«
Pater Franz deutete auf das Klostertor.
»Wollen wir das nicht drinnen besprechen? Es ist kalt hier draußen, und ein warmer Schluck Bier wird uns allen gewiss guttun.«
Der Richter folgte den beiden Mönchen ins Innere des Klosters und blickte sich überrascht um.
Er war noch nie in einem Kloster gewesen und hatte sich solche Anlagen immer düster und grau vorgestellt. Still war es hier, aber alles andere als düster oder grau. Helle Säulengänge umrahmten einen geräumigen Innenhof, mit einem großen Ziehbrunnen. Kletterrosen und Efeu rankten an den Säulen empor. Sogar an diesem verregneten Tag hatte der Hof etwas Reizvolles. Ein unerklärliches Gefühl von Frieden breitete sich in ihm aus, während er den Mönchen durch den breiten Gang folgte und die wunderbare Decke mit den filigranen Kreuzen bestaunte. Sie traten durch eine schmale Tür in ein enges Treppenhaus, in dem Kerzen an den Wänden warmes Licht verbreiteten. Pater Franz führte den Richter nicht ins Refektorium, sondern in die Klosterküche.
Fasziniert ließ Constantin von Lichtenberg seinen Blick über die gemütliche Einrichtung schweifen. In den Ecken standen mit Obst und Gemüse gefüllte Körbe und Kisten, und es roch ausgesprochen aromatisch. Er atmete diese Gerüche von Kräutern, Haferbrei und Bier tief ein. Als Kind hatte er sich gern in der Küche seines Elternhauses aufgehalten, die in seiner Erinnerung einer der schönsten Plätze des weitläufigen Herrenhauses gewesen war. Das rege Treiben der Mägde und Köche, die zischenden Töpfe und Pfannen und die verlockenden Düfte hatten ihn dorthin gezogen, doch diese Küche, die bedeutend kleiner war als die in seiner Kindheit, gefiel ihm fast noch besser.
Pater Johannes trat hinter den Ofen und rührte in einem riesigen Topf.
»Möchtet Ihr etwas Haferbrei?«, fragte der Mönch.
»Gern. Es ist gemütlich hier«, antwortete der Richter beseelt.
Pater Franz warf Johannes einen amüsierten Blick zu. Anscheinend war es eine hervorragende Idee gewesen, den Richter in die Küche zu führen.
Der Abt setzte sich neben Constantin von Lichtenberg.
»Das hier ist einer meiner Lieblingsräume des Klosters. Ich schätze die Atmosphäre und natürlich die Anwesenheit von Johannes, der sich ausgezeichnet um unser aller Wohl kümmert.«
Er lächelte seinem Freund zu, der einen großen Löffel Honig unter den Haferbrei rührte und die Schale vor den Richter stellte. Danach füllte er aus einem weiteren Topf warmes Bier in einen Krug, nahm zwei Becher von einem Regal an der Wand und stellte alles auf den Tisch.
»Wohl bekomm’s«, sagte er. Der Richter griff nach dem Löffel und begann zu essen. Johannes verließ die Küche. Er musste im Refektorium nach dem Rechten sehen, und es war besser, wenn nur einer von ihnen mit dem Richter sprach. Pater Franz sah dem Mann eine Weile beim Essen zu, nahm einen kräftigen Schluck von dem warmen Bier und genoss dessen bitteren Geschmack.
Constantin von Lichtenberg griff ebenfalls zu seinem Becher und trank ihn in einem Zug leer, dann musterte er Pater Franz neugierig.
»Und das alles hättet ihr wegen dem dummen Jungen aufgegeben? Vielleicht sogar Euer Leben?«
Pater Franz sah ihn überrascht an.
»Es gibt Menschen, die tun für ihre Überzeugungen vieles.«
Der Richter lächelte.
»Oder für eine Frau.«
Pater Franz zog überrascht die Augenbrauen hoch.
»Wieso für eine Frau?«
»Der Büttel hat mir von der Stiefschwester des Jungen berichtet. Das war doch das Mädchen, das mit den Schweden mitgegangen ist, oder? War sie hübsch?«
Verwirrt sah der Mönch den Richter an. Er glaubte doch nicht wirklich …
»Ihr müsst Euch keine Gedanken machen, so etwas kommt doch in den besten Familien vor. Deshalb wollt Ihr also den Jungen unbedingt retten. Ihr habt es Eurer Geliebten versprochen.«
Der Abt schnappte nach Luft. Was reimte sich dieser Mann zusammen? Wie konnte er es wagen, ihn so zu beleidigen.
»Ich verbitte mir, so eine Vermutung in diesen Räumen auch nur auszusprechen. Marianne Leitner war mein Mündel, und sie
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