Das Pestkind: Roman (German Edition)
war wie eine Tochter für mich. Niemals wäre ich auf den Gedanken gekommen, sie anzurühren.«
Der Richter hob beschwichtigend die Hände.
»Schon gut. Ich hatte gedacht …«
Pater Franz fuhr ruhiger fort: »Aber mit einer Sache hattet Ihr recht. Sie ist der Grund dafür, warum ich Anderl unbedingt retten wollte, denn ich habe es ihr versprochen. Als sie mit den Schweden ging, konnte sie das Versprechen, das sie ihrem Bruder gegeben hatte, nicht mehr halten, also muss ich es jetzt für sie tun. Nur leider gelingt es mir wohl nicht.«
Pater Franz schlug die Augen nieder. Die Erinnerung an Marianne traf ihn wie ein Schlag. Wie sehr er das Mädchen vermisste. Er wusste nicht einmal, ob es ihr gutging und ob sie noch am Leben war. Womöglich war sie gestorben und fern der Heimat begraben, wo sie verstoßen, verraten und verkauft worden war.
»Warum ging sie denn mit den Schweden?«, fragte der Richter, der bemerkte, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte, es aber nicht lassen konnte, nachzubohren.
»Das ist eine längere Geschichte«, versuchte Pater Franz abzuwiegeln.
Constantin von Lichtenberg lehnte sich zurück.
»Ich habe Zeit. Erzählt sie mir.«
Pater Franz atmete tief durch. Vielleicht half es, dem Richter die Zusammenhänge begreiflich zu machen, damit er endlich verstand, dass Anderl seine Mutter nicht getötet hatte.
Er erzählte also von Marianne, wie sie sein Mündel wurde, erklärte, warum Hedwig ihre Ziehmutter wurde und damit Anderl ihr Stiefbruder, und schilderte die Umstände von Hedwigs Tod.
Er berichtete von deren Beerdigung, dem Überfall der Schweden und von den Abläufen in der Kirche, soweit er konnte. Er ließ nichts aus, auch nicht, dass Marianne oft mit Hedwig gestritten und Anderl sie immer beschützt hatte. Der einfältige Junge, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte und den nur Marianne wirklich verstand. Sie liebten einander wie Bruder und Schwester, obwohl sie es nicht waren. Er berichtete von Mariannes Versprechen im Gefängnis und schilderte genau, was sich bei der Übergabe des Geldes und der Wertsachen an die Schweden im Kloster zugetragen hatte.
»Ich hatte keine Wahl. Sie musste Wrangel begleiten, denn er hätte die Stadt niedergebrannt, wenn sie es nicht getan hätte«, endete er.
Constantin von Lichtenberg hatte die ganze Zeit über ruhig zugehört. Mit jedem Wort, das der Mönch sagte, verstand er den Mann mehr und begriff, warum er ins Gefängnis eingebrochen war. Er hatte mit allen Mitteln das Versprechen einlösen wollen, das er seinem Mündel gegeben hatte, doch leider schien er zu scheitern.
Der Richter nahm noch einen Schluck Bier, das inzwischen kalt geworden war. Angewidert verzog er das Gesicht, warm schmeckte das Gebräu eindeutig besser.
»Und das Mädchen, das heute weggefahren ist, hätte wirklich die Unschuld des Jungen beweisen können?«
»Ja, sie hat den Mörder gesehen.«
Der Richter schaute den Mönch erstaunt an.
»Und, wer war es?«
Pater Franz zuckte mit den Schultern.
»Ist das jetzt noch wichtig? Ihr würdet der jungen Frau sowieso nicht glauben, denn sie ist in aller Augen eine Dirne, die noch dazu auf den Kopf gefallen ist.«
Die Augen des Richters wurden immer größer.
»Jetzt möchte ich aber wirklich wissen, was hier gespielt wird«, sagte er mit fester Stimme.
Pater Franz sah ihn eine Weile schweigend an.
»Habt Ihr es denn noch nicht bemerkt?«
Der Richter zog die Augenbrauen hoch.
»Was soll ich bemerkt haben?«
»Wer hat Euch denn davon abgeraten, das Mädchen zu befragen?«
Constantin von Lichtenberg fuhr sich durchs Haar.
»Der Büttel.«
Pater Franz nickte.
»Und dreimal dürft Ihr raten, warum er das getan hat.«
Der Richter warf dem Mönch einen langen Blick zu, dann erhob er sich. Das war eine gewichtige Anschuldigung, denn immerhin war August Stanzinger nicht irgendjemand, sondern ein angesehener Mann.
»Das erklärt so einiges. Allerdings habt Ihr recht, Pater. Die Aussage des Mädchens hätte in diesem Fall nicht ausgereicht. Um so einen Mann zu Fall zu bringen, bräuchten wir einen ganz anderen Zeugen. Es tut mir leid, wenn ich Euch das sagen muss, aber ich werde für Euren Schützling nichts tun können. Wenn kein weiterer Zeuge auffindbar ist, wird er nächste Woche auf dem Schafott stehen.«
Pater Franz nickte seufzend.
Er wusste, wer dieser Zeuge war. Doch würde all sein Flehen nicht helfen. Niemals würde der Bürgermeister seine Meinung ändern.
Der Richter wandte sich zum Gehen.
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