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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Tisch. Pater Franz sah ihm schweigend dabei zu.
    Plötzlich wandte Anderl den Kopf und sah den Mönch ernst an.
    »Wirst du auf sie aufpassen, wenn ich nicht mehr hier bin?«
    Der Abt sah ihn überrascht an.
    »Du weißt es also.«
    Anderl konzentrierte sich auf die Strohtiere.
    »Sie sollten einen besseren Platz bekommen, vielleicht einen am Fenster, mit viel Licht und Sonne. Sie mögen es nicht, wenn es kalt und dunkel ist.«
    Pater Franz trat neben Anderl. Er verstand. Der Junge wollte nicht darüber reden.
    Anderl sah den Mönch an. Jetzt hatte er wieder diesen kindlichen Ausdruck in den Augen, der zeigte, dass er nicht das war, was er zu sein schien. In dem Körper des jungen Mannes steckte ein verletztes, einsames Kind.
    »Das wirst du doch tun, oder?«
    Pater Franz legte seine Hand auf die seines Schützlings.
    »Ja, das werde ich. Ich verspreche dir: Sie werden einen wunderbaren Platz bekommen, direkt am Fenster, mit viel Licht und Sonne.«
    In diesem Moment ging die Tür auf. Karl winkte den Mönch zu sich.
    »Deine Zeit ist um, Abt.«
    Pater Franz wandte sich seufzend zum Gehen. An der Tür blieb er noch einmal stehen und bekreuzigte sich.
    »Gott sei mit dir.«
    Anderl reagierte nicht. Er sortierte seine Strohtiere und stellte sie in eine Reihe. Die Tür schloss sich, und der Mönch folgte dem Wärter durch das dämmrige Treppenhaus, heute zum letzten Mal.
    *
    Marianne wusch nervös die Tonschalen aus. Nur noch wenige Stunden trennten sie von zu Hause.
    Wohin würde sie zuerst gehen? In die Brauerei? Oder doch lieber ins Kloster? Wahrscheinlich war das besser. Sie freute sich auf den Gesichtsausdruck von Pater Franz, wenn er sie wiedersah. Auf Johannes, wie er sie in die Arme nahm. Aber am meisten freute sie sich auf Anderl. Endlich würde sie ihn wiederhaben, und wie auch immer ihre Zukunft aussah, sie würde ihn nicht mehr allein lassen.
    Eine Tonschale rutschte aus ihren Händen und zerbrach auf dem Holzboden. Marianne bückte sich und hob die Scherben auf. Ihre Hände zitterten, und sie schnitt sich in den Finger. Blut tropfte auf die Bretter.
    Fluchend trat der Koch näher.
    »Bist heute aber auch zu nichts zu gebrauchen. Sieh nur, was du angerichtet hast. Scher dich fort und setz dich da hinten in die Ecke.« Er deutete neben Balthasars Ruder. »Da kannst du wenigstens nichts anstellen. Wird Zeit, dass du von Bord kommst, nichtsnutziges Ding.«
    Marianne gehorchte wortlos und setzte sich an die Reling. Fredl hob die Scherben auf, trug den Holzeimer und die restlichen Schalen in die Küche.
    Balthasar sah Marianne mitleidig an.
    »Ist heute nicht dein Tag, was?«
    Marianne nickte abwesend.
    Ihr waren Fredls Worte gleichgültig. Nur noch wenige Stunden würde sie auf diesem Boot zubringen und den alten Mann niemals im Leben wiedersehen. Sollte er doch schimpfen, wie er wollte.
    Das Boot triftete ein Stück nach rechts ab. Balthasar richtete das Ruder aus.
    »Du siehst nicht gerade wie jemand aus, der sich freut, nach Hause zu kommen.«
    Marianne sah ihn überrascht an.
    »Ich weiß nicht, was mich erwartet.«
    Balthasar nickte.
    »Das kenne ich, mir geht es ebenso. Unser Hof liegt außerhalb der Stadt in einem kleinen Dorf. Ob meine Frau und die Kinder noch leben, weiß ich nicht. Seit Wochen bin ich unterwegs und sehe nichts als den Fluss. Ich konnte sie nicht beschützen, nicht bei ihnen sein, und womöglich finde ich nichts als verbrannte Erde vor und habe alles verloren.« Sein Blick wurde traurig.
    »Lisbeth war schwanger, als ich sie verließ. Wir haben bereits vier Söhne und eine Tochter. Die Kleine ist wie ein Kätzchen so süß. Ich bete jeden Tag dafür, sie lebendig in die Arme schließen zu dürfen.«
    Marianne kam sich plötzlich schäbig vor. Sie versank in Selbstmitleid, obwohl sie einen sicheren Platz hatte, wo sie hingehen konnte.
    Sie hatte Angst um ihren Stiefbruder, aber Balthasar und all die anderen Männer, die mit ihnen zogen, wussten nichts von dem Schicksal ihrer Familien. Sie fuhren in eine noch viel schlimmere Ungewissheit als sie.
    Sie blickte eine Weile stumm über das graue Wasser. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Es gab keine tröstenden Worte für diejenigen, die alles verloren hatten und vom Unglück heimgesucht worden waren.
    Fröstelnd zog sie ihren Umhang enger um sich. Balthasar sah sie mitleidig an.
    »Du solltest wieder reingehen. Hier draußen wirst du dir noch den Tod holen.«
    Marianne lächelte.
    »Zu dem alten Kauz? Gewiss wird er mich gleich

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