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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Mannes brachte Albert auch nicht zurück. Es war verrückt. Sie würde ihn niemals wiedersehen, und doch wollte sie ihm treu sein und nicht in den Armen eines anderen liegen. Sie atmete tief durch und schaute auf die Berge, die die ersten Sonnenstrahlen in ein warmes Licht tauchten.
    Die Tür zum Frachtraum öffnete sich, und Alois sah sie verwundert an.
    »Was tust du hier draußen?«
    Marianne lächelte.
    »Guten Morgen, Alois. Ich konnte nicht schlafen.«
    Er kratzte sich am Kopf.
    »Ich habe geschnarcht, oder?«
    »Vielleicht ein wenig.«
    Er trat neben sie.
    »Entschuldige.«
    Marianne zuckte mit den Schultern.
    »Albert hat auch geschnarcht.«
    Er antwortete nicht darauf. Ihm fiel auf, dass Marianne ihn nicht ansah. Er folgte ihrem Blick und begann zu grinsen.
    »Sie sind wunderschön, nicht wahr?«
    Marianne nickte seufzend.
    »Sie sind Heimat, irgendwie Seele, ganz tief im Herzen.«
    Sie schlang die Arme um ihren Körper und begann zu weinen. Es brach einfach aus ihr heraus.
    »Sie haben sie mir genommen und mich fortgebracht von den Bergen, von Rosenheim und Anderl. Ich habe ihn alleingelassen. Sie haben mich mit sich genommen wie einen Gegenstand. Die Berge, ich dachte, ich würde sie niemals wiedersehen.«
    Sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte laut.
    Behutsam nahm Alois sie in die Arme und drückte sie an sich.
    »Es ist ja gut. Jetzt bist du wieder hier. Die Berge sind doch noch da. Sie haben auf dich gewartet und werden es immer tun. Niemand wird sie dir jemals wegnehmen.«
    Marianne vergrub ihren Kopf an seiner Schulter. Nach einer Weile löste sie sich aus seiner Umarmung und wischte sich peinlich berührt die Tränen vom Gesicht.
    »Es tut mir leid, ich wollte nicht …«
    Er winkte ab.
    »Ich kann dich gut verstehen. Der Anblick der mächtigen Gipfel löst auch in mir solche Gefühle aus. Sie sind ein Teil von uns, und das wird sich niemals ändern, egal, wo wir auch leben.«
    Mariannes Blick wanderte flussaufwärts.
    »Was denkst du, wird mich zu Hause erwarten?«
    »Das weiß ich nicht.« Alois zuckte mit den Schultern.
    »Die Häme der Leute und deren Verachtung?«
    »Aber auch Anderl und Pater Franz«, erwiderte er.
    Marianne nickte. Sie riss sich vom Anblick der Berge los und warf Alois nachdenklich einen Blick zu. Er erriet ihre Gedanken.
    »Du musst dir keine Sorgen machen wegen letzter Nacht. Es war nichts und wird auch kein Gerede geben.«
    Marianne war erleichtert und nickte.
    Am Ufer wurde es unterdessen laut, die anderen Männer krochen aus ihren Zelten.
    »Was trödelst du hier herum, Mädchen«, rief Fredl.
    Marianne blickte sich um. Der alte Koch stand am Ufer und sah sie auffordernd an.
    »Soll ich etwa die ganze Arbeit allein machen?«
    Eilig raffte Marianne ihre Röcke und kletterte über die Reling. »Aber nein. Ich bin doch da, natürlich helfe ich.«
    Alois blickte ihr wehmütig hinterher.
    Er hätte ihr gern den Hof gemacht. Aber einen Schiffsmeister und das Pestkind würde Rosenheim niemals akzeptieren.

D er Tag war wie immer, wie all die Tage hier waren. Hatte es jemals eine andere Zeit gegeben vor diesem Raum und der weißen Wand, die er stundenlang anstarrte?
    Anderl schloss die Augen und wanderte in Gedanken an den Fluss.
    Es war Sommer, ein heller, sonniger Tag. Das Wasser schimmerte grün, und sanfte Wellen schlugen an das steinige Ufer. Er atmete den Geruch nach feuchtem Schlick und Schilf ein. Sanft zauberte der Wind Wellen auf die Wasseroberfläche und strich ihm durchs Haar, und die Weiden am Ufer ließen ihre Zweige ins Wasser hängen, als hätten sie Durst. Plötzlich durchdrangen laute Rufe diese Ruhe, davon aufgescheucht, flog ein Schwarm Enten schnatternd vom Ufer auf und floh in einen schmalen Seitenarm, der von Bäumen verdeckt wurde.
    Da kamen sie, die Boote. An einer Kette waren sie hintereinander aufgereiht und wurden von prachtvollen Pferden gezogen, die von stattlichen Reitern geführt wurden. Sehnsüchtig blickte er auf die Boote. Jedes einzelne konnte er benennen. Die Hohenau, das große Hauptschiff, das an erster Stelle kam, die Nebenbei, die Funkelzille und Pferdeplätten. Er wusste genau, wer für was zuständig war, und beneidete sogar die Männer, die nur zum Sichern der Ladung an Bord waren. Am Ufer kam jetzt der Stangenreiter in Sicht. Kräftig und muskulös waren seine braungebrannten Arme. Anderl hätte alles dafür gegeben, um mit ihnen fahren zu können, denn diese Männer waren frei. Der Fluss leitete ihr Leben, nur er machte

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