Das Pestkind: Roman (German Edition)
bewerfen und ihn auslachen. Er ist doch nicht besser dran als ich.«
Der Priester erhob sich und legte Marianne die Hände auf die Schultern.
»Beruhige dich. Ich kann dich gut verstehen, aber einen Ausweg kann ich dir nicht zeigen, den kennt nur Gott allein.«
Marianne atmete tief durch und ließ die Schultern sinken.
»Ein Gott, der mich vergessen hat.«
Der Priester sah ihr ernst in die Augen.
»Nein, ein Gott, auf den du vertrauen solltest. Schließe deinen Frieden mit ihm. Du wirst sehen, er kennt den Weg.«
*
Anderl mochte es, wenn der alte Theo ihn in die Stadt begleitete, denn wenn Theo bei ihm war, pöbelte ihn niemand an, und sogar die frechen Buben, die ihn sonst gern mit Kieselsteinen bewarfen, ließen ihn in Ruhe. Theo war wie er ein Außenseiter, lebte in einer alten Hütte am Fluss, und es gab viele Geschichten um den sonderbaren, weißhaarigen Mann, der zu Rosenheim gehörte wie der Inn mit seinem grünen Wasser. Doch im Gegensatz zu Anderl wurde er respektiert und geachtet, obwohl er sich keine Mühe gab, sich anzupassen.
Anderl hatte Theo einmal gefragt, warum er sein Freund war. Der alte Mann hatte eine Weile gebraucht, bis er die richtige Antwort gefunden hatte, und ihm mit der Frage, warum er es denn nicht sein sollte, geantwortet.
Danach hatte Anderl sich nie wieder Gedanken über ihre Freundschaft gemacht. Vielleicht war es aber auch ihre Ähnlichkeit, die die beiden zueinandergeführt hatte. Beide waren ruhig, zurückhaltend und brauchten Zeit, um Antworten zu geben. Anderl kämpfte noch um Anerkennung. Theo hingegen hatte sich mit seiner Außenseiterrolle abgefunden.
Sie erreichten die Brauerei, und Anderl öffnete das Hoftor. Es war ein ruhiger Sommernachmittag. Erneut lag schwüle Luft über der Stadt, und ab und an wirbelte Staub auf den Straßen in die Höhe. Eifrig winkte er Theo in den Hof.
»Komm ruhig rein, Theo. Niemand ist hier. Du hast bestimmt Durst.«
Theo zögerte. Er scheute eine Begegnung mit Hedwig. Er konnte die herrische Wirtin des Stockhammer Bräus nicht leiden, und wie sie mit Anderl umging, tat ihm in der Seele weh.
Seine trockene Kehle brachte ihn aber doch dazu, dem Jungen zu folgen.
Anderl verschwand in der Küche und tauchte kurze Zeit später mit zwei Krügen Bier wieder auf. Gierig trank Theo seinen Krug in einem Zug leer und genoss den malzigen Geschmack auf der Zunge.
»Das tut gut.« Er wischte sich den Schaum vom Mund. »Aber deine Mutter wird es nicht gern sehen, wenn du das Bier verschenkst.«
»Schmeckt es dir?«
Der alte Mann nickte.
»Es schmeckt wunderbar.«
Anderl hielt ihm seinen Krug hin.
»Dann kannst du meines auch noch trinken.«
Theo blickte nervös zur Küchentür, nahm den Krug, trank einen kräftigen Schluck und gab ihn zurück.
»Es ist genug. Bei der Hitze steigt mir das Bier in den Kopf. Ist eh besser, wenn ich mich jetzt fortmache, bevor Hedwig mich sieht und du Ärger bekommst.«
Anderl sah Theo nachdenklich an und ballte die Fäuste.
»Es ist mir egal, was sie sagt. Du bist mein Freund, ich lasse nicht zu, dass sie dich verscheucht.«
Theo strich Anderl beruhigend über die Schulter.
»Ist schon gut, mein Junge. Es ist eben, wie es ist. Ich mag keinen Streit.«
Anderls Anflug von Wut verrauchte so schnell, wie er gekommen war. Er nickte stumm.
»Kommst du mich morgen besuchen?«, fragte Theo.
»Ja, natürlich, Theo. Sehen wir dann auch wieder den Booten zu?«
Theo lächelte.
»Das tun wir doch immer. Und du bist der Schiffsmeister und ich dein Matrose.«
»Was werden wir geladen haben?«
»Was du dir wünschst.« Theo wandte sich dem Ausgang zu.
»Dann sollen es Salz, Getreide und viele Fässer Wein sein.«
»Abgemacht! Fässer mit Wein werden es sein.« Theo hob die Hand zum Gruß. »Bis morgen.«
Anderl winkte eifrig wie ein kleines Kind. »Ich freu mich schon.«
Das Tor schloss sich hinter dem alten Mann, und Anderl fühlte wieder diese Trostlosigkeit, die er immer verspürte, wenn er sich von Theo trennen musste. Mit gesenktem Kopf ging er zur Küchentür, doch dann ließ ihn das erneute Knarren des Hoftors aufblicken.
Ein schlaksiger blonder Mann betrat den Hof und blickte sich um. Er schien Anderl nicht zu bemerken, steckte seine Nase neugierig in den Pferdestall, öffnete die Tür des Hühnerverschlags und inspizierte die anliegenden Brauereigebäude. Anderl beobachtete den Mann neugierig, schloss leise die Küchentür und folgte ihm. Vor dem Braukessel, wo sich der blonde Unbekannte an einem
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