Das Pestkind: Roman (German Edition)
Schweden wollen nur plündern und Beute machen, wenn die Stadt klug handelt und Wrangel entgegenkommt, dann könnte ein Überfall abgewendet werden.«
August sah Josef überrascht an. So viel Umsicht hatte er dem Mann, den er erst seit kurzem kannte, nicht zugetraut.
»Und wie soll ich das bitte anstellen? Klug handeln? Bisher ist doch nichts geschehen. Die Stadt liegt offen da. Wrangel muss nur kommen. Er wird sich doch so eine Stadt wie Rosenheim nicht entgehen lassen. Auch wenn wir Probleme haben wie viele andere Dörfer und Städte auch, durch die Schifffahrt und den Salzhandel geht es uns noch sehr gut.«
Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern.
»Dann dürfte es keinen großen Aufwand darstellen, das Nötige aufzutreiben, um Wrangel abzufinden.«
»Wenn er sich abfinden lässt«, erwiderte der Büttel und wechselte das Thema.
»Was treibt Euch eigentlich zu mir, Josef? Ihr werdet mir doch nicht erzählen wollen, wegen den Schweden hergekommen zu sein.«
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Josef. »Ich bin wegen unserer kleinen Abmachung gekommen. Ihr erinnert Euch?«
Stanzinger seufzte. Er hatte jetzt wirklich andere Sorgen, als sich um Hedwig Thaler und die Brauerei Gedanken zu machen.
»Können wir das nicht erledigen, wenn die Schweden wieder fort sind? Wir wissen doch noch nicht einmal genau, wie wir der Witwe habhaft werden wollen.«
»So lange kann ich nicht mehr warten. Ich wohne im Gasthaus in einer schäbigen Kammer, und selbst für die geht mir bereits das Geld aus. Ihr habt mir versprochen, Euch um die Sache zu kümmern, also haltet Euch daran.«
August Stanzinger wurde ungehalten.
»Ich habe es doch schon erklärt. Ein ganzes schwedisches Heer ist nicht weit weg von uns. Die Dinge ändern sich nun mal.«
Wütend sprang Josef auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Ihr habt mir Eure Unterstützung zugesagt. Mir sind die Schweden gleichgültig. Ich will diese Brauerei, und ich werde sie auch bekommen.«
August zuckte zusammen. Josef Miltstetter hatte recht, er war ihm ausgeliefert, wusste dieser doch von seinen ungewöhnlichen Gelüsten.
»Gut, ich überlege mir was, aber wir müssen vorsichtig sein, denn es darf keine Zeugen geben.«
*
Nieselregen legte sich wie ein sanfter Film auf die Haut und die Kleider. Die Schwüle der letzten Tage war ungewöhnlicher Kühle gewichen, und tiefhängende Wolken versperrten den Blick auf die Berge.
Marianne war auf der Suche nach Anderl und fröstelte in ihrem klammen Kleid. Hedwig war mal wieder äußerst schlecht aufgelegt, was keine Seltenheit war. Aber heute hatte ihre Stimmung einen Tiefpunkt erreicht, was gewiss mit den Gerüchten über die Schweden zu tun hatte, aber auch mit dem Umstand, dass es immer weniger zu essen gab. Gestern war Marianne unverrichteter Dinge von ihrem Einkauf auf dem Markt zurückgekommen, denn die Bauern waren nicht in die Stadt gezogen, um ihr Vieh zu verkaufen, und alle Metzgereigeschäfte waren geschlossen gewesen. Nur vereinzelt war Gemüse angeboten worden, ein wenig Stoff oder Getreide. Hedwig hatte Marianne nach ihrer Rückkehr mit dem Stock verprügelt. Anderl war bereits seit gestern verschwunden, was Marianne durchaus verstehen konnte. Eigentlich war es Hedwig gleichgültig, wo sich der Junge herumtrieb, denn eine wirkliche Hilfe war er nicht. Aber heute sollte ihn Marianne unbedingt suchen.
Auf dem Marktplatz standen die Menschen trotz des schlechten Wetters dicht beieinander, um dem Schauspiel einer Hinrichtung beizuwohnen. Zwei Urteile wurden heute vollstreckt. Einem jungen Burschen, der aus der Färbergasse stammte und als Knecht einem der Tuchmacher diente, sollte die rechte Hand abgehackt werden, denn er hatte bei seinem Herrn mehrfach in die Kasse gegriffen. Der zweite Angeklagte war allen in der Stadt wohlbekannt. Ludwig Zirnhammer war ein angesehener Metallwarenhändler gewesen, bis er neulich nachts im Rausch seine Frau und seine beiden Kinder erschlagen hatte.
Eben wurde der Bursche aufs Schafott gezerrt, denn er wehrte sich laut brüllend mit Händen und Füßen. Marianne versuchte, nicht hinzusehen. Sie verabscheute Hinrichtungen, was die Leute daran fanden, konnte sie nicht verstehen.
Die johlende Menge hatte bereits ungeduldig darauf gewartet, den ersten Angeklagten zu sehen. Verfaultes Gemüse wurde nach ihm geworfen, und alle riefen wild durcheinander. Marianne hatte ihre liebe Not, voranzukommen. Sie wollte den Marktplatz überqueren, um durchs Mittertor auf den Äußeren
Weitere Kostenlose Bücher