Das Pestkind: Roman (German Edition)
Pferd. Einmal hatte Luise sogar behauptet, Gabriele wäre vom Teufel besessen, weil ihre arme Kuh keine Milch mehr geben würde. Die beiden trieben ihn irgendwann noch in den Wahnsinn.
»Ich hab es genau gesehen, dein verlauster Sohn hat heute früh meinen Hahn gestohlen«, keifte Gabriele Obermeyer und warf dem Büttel, der ihrer Meinung nach eindeutig zu wenig Interesse zeigte, einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Gar nichts hat er. Der Ernst ist ein guter Junge, niemals würde er stehlen«, verteidigte sich Luise und setzte eine Bettelmiene auf, die August nur zu gut kannte.
Ungeduldig griff der Stadtbüttel zur Schreibfeder.
»Jetzt beruhigen Sie sich doch, meine Damen. Ich nehme ja deine Anzeige auf, Obermeyerin.«
Verdattert sahen die beiden den Büttel an.
Gabriele Obermeyer fing sich als Erste wieder.
»Ihr werdet doch eh wieder nichts tun, um dieses Weib und ihre schreckliche Brut unschädlich zu machen. Eine Schande ist das.«
»Was soll das heißen, schreckliche Brut?« Luises eben noch flehende Augen verwandelten sich in wütende Schlitze, die zusammen mit dem rotwangigen Gesicht der Frau durchaus eine gewisse Wirkung erzielten.
»Ja, wenn es doch wahr ist«, konterte Gabriele und verzog beleidigt das Gesicht.
»Nur Ärger machen deine Bälger. Kein Wunder bei der Mutter, die ja auch nicht mehr ist als eine dumme Dirne.«
»Das nimmst du zurück! Wer von uns hat sich denn jedem dahergelaufenen Mannsbild an den Hals geworfen? Drei Männer hast du schon durchgebracht. Eine Hure bist du, jawohl!«
August ließ die Feder sinken, erhob sich von seinem Stuhl und ging auf die beiden Frauen zu.
»So kommen wir doch nicht weiter. Es ist besser, ihr geht jetzt beide. Ich habe heute noch mehr zu tun, als euch beim Streiten zuzuhören.«
Energisch griff er die beiden Damen am Oberarm und zog sie zur Tür, aber Gabriele Obermeyer wehrte sich entrüstet.
»Das könnt Ihr nicht machen. Ich muss eine Anzeige erstatten, denn der Knabe ist ein Dieb und muss geholt werden.«
»Gar nichts ist er«, keifte Luise und versuchte erneut, den Büttel mit einem schmachtenden Blick auf ihre Seite zu ziehen.
»Ihr kennt den Buben doch. Niemals würde der Junge etwas stehlen. Ich bürge für ihn.«
»Er ist ein Dieb, ein lausiger kleiner Gauner, dem die Hand abgehackt werden sollte.«
August hatte sich bis zur Tür vorgekämpft, öffnete sie, schob die beiden zankenden Weiber unsanft auf den Marktplatz und drehte danach den Schlüssel im Schloss. Erschöpft schloss er die Augen und versuchte, das Klopfen an der Tür zu ignorieren.
Ja, Ernst war ein lieber Junge, und er kannte ihn besser, als seiner Mutter lieb war. Seine Haut war weiß wie Schnee, seine Schenkel waren heiß, und sein Stöhnen erregte ihn. Er konnte wunderbare Dinge mit seinen Lippen vollbringen und war ihm gefügig, sooft er es wollte.
Das Hämmern an der Tür ließ nach, und er schaute vorsichtig zum Fenster hinaus. Die beiden Frauen entfernten sich. Erleichtert schloss er die Tür wieder auf und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Als er sich setzte, bemerkte er vor dem Fenster eine Bewegung. Anderl Thaler lief direkt daran vorbei. Sein Haar klebte ihm an der Stirn, und er war durchnässt vom Regen. Kurz sah er das ebenmäßige Gesicht und die hübschen, kindlichen Augen des Jungen, den alle nur den Dummen nannten, für den er aber mehr empfand und den er zu gern verführen würde, denn Anderls Naivität reizte ihn sehr. Hastig erhob er sich und trat ans Fenster, aber der Junge war fort. Nachdenklich blieb August für einen Moment stehen, sein Blick ging ins Leere. Besitzen, ihn festhalten und nie mehr loslassen. Den Jungen gefügig machen, nur für sich.
»Was ist los, Büttel?«
Erschrocken zuckte er zusammen und drehte sich um.
»Ach, Josef, Ihr seid es.«
Der blonde Mann musterte sein Gegenüber skeptisch.
»Warum seid Ihr denn so nervös?«
August strich sich würdevoll über seine Weste und setzte sich an seinen Schreibtisch.
»Sind wir nicht alle nervös in diesen Zeiten.« Er zeigte nach draußen. »Wrangel sitzt uns wie ein blutrünstiger Hund im Nacken, und keiner weiß, wie es weitergeht.«
Josef zuckte mit den Schultern, ließ sich dem Büttel gegenüber nieder und schlug die Beine übereinander. Er war nicht gekommen, um über die Schweden zu reden. Seine Furcht vor General Wrangel war begrenzt. Aibling hatte Fehler gemacht, die Rosenheim sicher nicht unterlaufen würden.
»Hört mir doch damit auf.« Er winkte ab. »Die
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