Das Pestkind: Roman (German Edition)
der Bierfässer zu schaffen machte, holte er ihn ein.
»Was tust du da?«, fragte Anderl.
Der Mann zuckte erschrocken zusammen und drehte sich um.
»Nichts, nichts«, antwortete er und musterte sein Gegenüber.
»Du musst Anderl sein.«
Anderl riss verwundert die Augen auf. Woher kannte dieser Mann seinen Namen?
»Du fragst dich gewiss, woher ich dich kenne, oder?«
Anderl nickte. Doch weiter kam er nicht, denn Hedwigs laute Stimme unterbrach die beiden. Die Brauereibesitzerin hatte ihren Mittagsschlaf beendet und war zu ihrem täglichen Rundgang aufgebrochen. Die Arme in die Hüften gestemmt, stand sie in der Tür und funkelte den blonden Mann wütend an.
Anderl zog instinktiv den Kopf ein.
»Was willst du, Josef? Du solltest dich hier doch nicht mehr blicken lassen. Lass uns allein, Anderl.«
Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen.
Hedwig ging auf Josef zu, der beruhigend die Hände hob.
»Lass uns doch ruhig über alles reden. Ich will dir doch nur helfen, Hedwig, immerhin bin ich dein Vetter.«
Schwer amtend blieb sie vor ihm stehen.
»Du bist nicht meine Familie. Ein Taugenichts warst du dein ganzes Leben lang. Den Hof deines Vaters hast du in den Ruin gewirtschaftet, und jetzt versuchst du, dich an mich heranzumachen, aber das kannst du vergessen, denn die Brauerei habe ich allein geerbt und sonst niemand.«
Josef Miltstetter gab sich noch nicht geschlagen. Er kannte das Temperament seiner Base.
»Aber du bist doch eine Frau. Es schickt sich nicht, eine Witwe und Wirtin zu sein. Was sollen denn die Leute denken?«
Hedwig lachte laut auf.
»Was die Leute denken, ist mir gleichgültig. Und soweit ich mich erinnern kann, war es dir auch immer unwichtig.«
Es fiel Josef schwer, seine aufsteigende Wut unter Kontrolle zu halten. Was bildete sich dieses Weib überhaupt ein? Er war ein Mann, und sie hatte sich unterzuordnen und sollte froh darüber sein, Hilfe angeboten zu bekommen.
Hedwig baute sich mit verschränkten Armen und grimmiger Miene vor der Tür auf.
»Du solltest jetzt besser gehen.«
Josef nahm einen letzten Anlauf.
»Irgendwann wirst du froh sein, mich zu haben, oder glaubst du wirklich, der dumme Junge kann einmal dein Erbe antreten?«
»Anderl geht dich nichts an. So wie dich hier gar nichts etwas angeht. Verschwinde endlich! Ich will dich hier nie wieder sehen.«
Josef grinste. Er wusste, jetzt hatte er ihren wunden Punkt getroffen.
»Was soll denn werden, wenn du nicht mehr bist? Er ist dein einziger Erbe, und zum Kinderkriegen bist du inzwischen zu alt. Der Bursche wird die Brauerei in Grund und Boden wirtschaften.«
Hedwig hatte sich wieder im Griff.
»Ich habe gesagt, du sollst mein Haus verlassen.«
»Ich gehe jetzt, meine liebe Base. Aber das letzte Wort zwischen uns ist noch nicht gesprochen.«
Hedwig folgte ihrem Vetter auf den Hof, wo Anderl die Hühner fütterte. Neugierig warf er den beiden einen Blick zu.
»Mach’s gut, mein Junge«, rief Josef ihm zu und hob seine schäbige Kappe. »Wir sehen uns bald wieder.«
Lautstark schlug er das Hoftor hinter sich zu.
Hedwig stand mitten auf dem Hof, dann drehte sie sich zu Anderl um und gab ihm eine schallende Ohrfeige.
Erstaunt sah er sie an.
»Wie oft habe ich dir schon gesagt, keine Fremden hereinzulassen? Dem Teufel persönlich würdest du dummer Junge die Tür öffnen.«
Anderl hielt sich die schmerzende Wange, sah seiner Mutter hinterher, die wieder in der Küche verschwand, und fütterte weiter die Hühner.
*
August Stanzinger rollte die Augen und blickte über den Marktplatz, auf dem unaufhörlich Regen in große Pfützen prasselte. Bereits seit dem gestrigen Abend schüttete es wie aus Kübeln. Das Abhalten eines geregelten Marktes war heute kaum möglich, weshalb sich nur wenige Bauern und Händler eingefunden hatten, die ihre Waren an die wenigen Leute feilboten, die sich nicht in ihren Häusern verkrochen.
Doch obwohl die Schweden nicht mehr weit waren, gab es noch Weiber, die keine anderen Sorgen hatten, als sich gegenseitig anzukeifen. In diesen Momenten hasste er es, Büttel zu sein. Er stützte den Arm auf und versuchte, den beiden korpulenten Damen zu folgen, die aufgebracht und laut schimpfend vor seinem Schreibtisch standen.
Wahrscheinlich stritten sich Gabriele Obermeyer und Luise Hinterbauer schon ihr ganzes Leben lang, und es verging keine Woche, in der sie sich nicht laut zankend bei ihm einfanden. Mal ging es um einen niedergetrampelten Kräutergarten, dann um ein humpelndes
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