Das Pestkind: Roman (German Edition)
zum Aufbruch rufen. Die Schweden hatten alle Waren verstaut, nur Marianne fehlte noch. Er beobachtete die beiden, von Schmerz erfüllt. Wie sehr würde auch er Marianne vermissen. Niemals wieder würde sie in seiner Küche auf der Bank sitzen und mit leuchtenden Augen Haferbrei essen.
»Es wird Zeit«, sagte er. »Der General möchte aufbrechen.«
Marianne löste sich aus der Umarmung und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Dann lass uns gehen, Johannes. Mir bleibt ja keine Wahl.«
Doch Pater Franz hielt sie noch einmal zurück und sah sie mit ernster Miene an.
»Ich verspreche dir, alles für Anderl zu tun, was in meiner Macht steht. Wir werden für ihn kämpfen. Er ist nicht allein.«
Marianne nickte. »Der alte Theo wird uns bestimmt helfen. Ihn müsst ihr finden.«
»Das machen wir«, erwiderte der Abt. »Wir werden ihn hierherbringen, und dann wird alles gut.«
Marianne verließ den Rosengarten und trat zitternd auf den Innenhof des Klosters.
»Da haben wir die Kleine ja endlich«, rief General Wrangel ungeduldig. »Es wird aber auch Zeit.«
Marianne zuckte erschrocken zusammen. Albert ging ihr entgegen, reichte ihr schüchtern die Hand und bot ihr einen Platz auf einem der Karren an.
»Im Augenblick geht es leider nicht anders. Aber ich verspreche dir: Es wird dir an nichts fehlen.«
Marianne kletterte schweigend auf den Karren und setzte sich zwischen die Hühner- und Entenkäfige.
Ruckelnd fuhr das Gefährt an.
Pater Franz und Pater Johannes folgten der kleinen Gruppe auf die Straße und winkten so lange, bis der Wagen außer Sicht war.
Betrübt gingen sie nach einer Weile zurück.
Pater Johannes seufzte.
»Das arme Mädel. Und dein Versprechen mit Anderl wirst du leider auch nicht halten können.«
Pater Franz sah ihn erstaunt an.
»Warum denn nicht?«
»Vorhin kamen die Mönche zurück, die nach dem alten Theo suchen sollten. Sie fanden ihn tot in seiner Hütte.«
Teil II
Ein schwedischer Tross
L eise schluchzend saß Marianne auf dem Karren. Die Welt um sie herum versank hinter einem Tränenschleier, und ihr war trotz der schwülen Hitze kalt. Pater Franz, Pater Johannes, das Kloster und die Häuser der Stadt wurden immer kleiner. Noch nie hatte sie Rosenheim verlassen. Diese Häuser, die Mauern, Plätze und Gassen waren ihr Zuhause, die Welt, in der sie sich auskannte, auch wenn sie gegängelt und beleidigt wurde und die Menschen sie hassten.
Flache Wolkenfelder verdeckten die Sonne und tauchten den Inn, dem sie jetzt ganz nah waren, in diffuses Licht. Einige Boote fuhren auf dem grünen Wasser flussabwärts, ihr Anblick ließ Marianne traurig an Anderl denken, dem sie jetzt nicht mehr helfen konnte. Verzweifelt schlang sie die Arme um den Körper. Sie würde ihn niemals wiedersehen, aber er brauchte sie doch, niemand verstand ihn so gut wie sie. Vor ihrem inneren Auge tauchte plötzlich sein Gesicht mit den warmen Augen und dem verschmitzten Grinsen auf, und sie blickte wehmütig den Booten hinterher, die hinter einer Biegung verschwanden. Hoffentlich würde Pater Franz sein Versprechen halten und ihn retten.
Sie verließen das Flussufer und fuhren durch ein kleines Waldgebiet, in dem sich Weiden und Birken abwechselten, kleine Tümpel lagen zwischen Bäumen und hohem Gras, und Fliegen schwirrten in der Luft über den brackigen Gewässern, auf denen kleine Wasserläufer geschäftig umherliefen.
Marianne beruhigte sich. Rosenheim war jetzt außer Sichtweite. Noch immer wehte kein Lüftchen. Ihr Kleid klebte an ihrem Leib, und obwohl ihre Hände kalt waren, rann ihr der Schweiß den Nacken hinunter.
Nach einer Weile erreichten sie ein kleines Dorf.
Schockiert blickte sich Marianne um. Die meisten Höfe waren verfallen, nur wenige schienen noch bewohnt zu sein, auf den Feldern stand kaum Getreide, zumeist waren die kargen Äcker von Pfützen übersät, in denen sich der Himmel spiegelte, der sich im Westen bereits rot verfärbte. Bettelnde Kinder und Frauen liefen neben ihrem Wagen und den Reitern her.
Eine Frau streckte Marianne bittend die Hand entgegen. Sie wirkte ausgemergelt, ihre Augen lagen in tiefen Höhlen, und die Wangenknochen traten hervor. Ihr Kleid war zerschlissen und schmutzig.
»Bitte! Habt Mitleid, nur ein wenig Brot für die Kinder.«
Marianne wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie hatte kein Brot, um sie herum saßen nur Hühner und Enten in Käfigen.
»Tut mir leid«, antwortete sie. »Ich kann dir nichts geben, selbst wenn ich
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