Das Pestkind: Roman (German Edition)
beiden Frauen verwundert an. Wer war Anna Margarethe? Milli konnte die Unbekannte anscheinend nicht leiden. Misstrauisch stellte sie ihren leeren Teller ins Gras. Helene wandte sich nun an sie.
»Komm, wir gehen, die Herrin erwartet dich.«
Marianne sah Milli, zu der sie ein klein wenig Vertrauen gefasst hatte, fragend an.
Die alte Frau nickte und winkte sie fort.
»Geh ruhig mit ihr mit, Mädchen. Es wird dir schon keiner den Kopf abreißen.«
Auf dem Weg durchs Lager sah sich Marianne neugierig um. Sie hatte keine Vorstellung davon gehabt, wie ein Armeetross aussah. Irgendwie wirkte er gar nicht so erschreckend, wie in Rosenheim immer erzählt wurde.
An einem Bachlauf in der Nähe saßen einige Frauen tratschend beim Wäschewaschen, neben ihnen übte eine Gruppe Gaukler ein Kunststück, und überall standen große und kleine Zelte, Planwagen, Karren, Kanonen, Pferde und Maultiere. Kichernde Kinder spielten Fangen, eine Schar Gänse kreuzte ihren Weg, und vor den Zelten saßen Männer mit den unterschiedlichsten Kleidern in Gruppen beisammen, tranken und aßen, unterhielten sich oder putzten ihre Waffen. Manche von ihnen fehlten Gliedmaßen. Einige Bettler sprachen sie an, doch Helene scheuchte sie jedes Mal ruppig fort.
Sie liefen eine ganze Weile. Die Größe des Lagers war bemerkenswert. Irgendwann erreichten sie einen durch Wachen abgeschotteten Bereich. Hier waren die Zelte größer, sahen alle gleich aus und waren im Halbkreis um ein Lagerfeuer aufgestellt, über dem ein großer Topf hing. Eine Magd rührte eifrig darin herum, während weitere Frauen zwischen den Zelten Wäsche zum Trocknen aufhängten oder Hühner rupften.
Die Frauen trugen alle einfache beigefarbene Leinenkleider und weiße Kopftücher. Hier hatte das Lager fast etwas Gespenstisches an sich. Das bunte Leben von eben hatte Marianne besser gefallen.
Helene führte sie in eines der Zelte. Erstaunt blickte sich Marianne um. Hier hingen Bilder und sogar Wandteppiche an den Zeltwänden. Aus dunklem, schimmerndem Holz gearbeitete Stühle und Tische standen in der Mitte des Raumes, und in einer Ecke war hinter einem Baldachin aus feinsten Tüchern ein pompös wirkendes Lager aus glänzenden Decken, vielen Laken und verschwenderisch bestickten Kissen errichtet worden.
Mehrere Frauen standen bei einer braunhaarigen Frau, die ein weit geschnittenes, weinrotes Damastkleid trug, und musterten gemeinsam mit ihr einen klobigen, glänzenden Schrank, der mitten im Raum stand. Ein solches Möbelstück hatte Marianne noch nie gesehen. Es hatte viele kleine Fächer und Schubladen, an denen messingfarbene verschnörkelte Griffe angebracht waren.
Auf Helene und Marianne, die langsam näher traten, achtete niemand.
»Carl hat ihn geschenkt bekommen«, sagte die brünette Frau, die anscheinend in anderen Umständen war, denn sie bewegte sich wie eine Ente, als sie um das Möbelstück herumlief. »Angeblich stand der Schrank bei seinem Besitzer bereits länger im Laden, könnte das nicht bedeuten, dass er nicht mehr der neuesten Mode entspricht?«
Eine andere Dame strich bewundernd über das blank polierte Holz.
»Also, ich finde ihn ganz bezaubernd, diese vielen kleinen Fächer und Schubladen, wie gemacht für eine Frau wie Euch, meine Teuerste.«
Helene machte mit einem Räuspern auf sich aufmerksam. Die Damen blickten auf, sofort verstummten alle Gespräche, und Marianne wurde neugierig gemustert.
»Guten Morgen, Herrin. Hier bringe ich Euch Marianne Leitner, wie Ihr befohlen habt.« Helene neigte den Kopf.
Anna Margarethe winkte Marianne näher. Die kühle Ausstrahlung der Frau erschreckte Marianne, und sie fühlte sich vorgeführt wie eine Kuh, die auf dem Marktplatz an den Meistbietenden versteigert wird. Die Frauen um sie herum musterten sie und tuschelten hinter vorgehaltener Hand.
»Also, du bist das Mädchen, das unseren Albert so beeindruckt hat«, sprach die Frau sie schroff an.
Schüchtern nickte Marianne.
»Mir wurde zugetragen, du seist die Tochter eines Gutsherrn.«
Die Damen kicherten. Anna Margarethe machte eine Handbewegung, und sofort kehrte Ruhe ein.
Marianne nickte erneut zaghaft.
»Aussehen und riechen tust du wie ein Bauernmädchen.«
Anna Margarethe musterte missbilligend Mariannes Kleid.
»Und eine Stimme hast du anscheinend auch nicht.«
»Doch, die habe ich«, antwortete Marianne schüchtern.
Anna Margarethe zog die Augenbrauen hoch und sah leicht belustigt ihre Nachbarin an.
»Und dieser Dialekt. Welch
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