Das Pestkind: Roman (German Edition)
wollte.«
Die Frau wurde langsamer, blieb stehen und legte ihren Arm um ein etwa achtjähriges Mädchen. Genau in diesem Augenblick ritt der schwarzhaarige Mann, der den Namen Friedrich trug, an ihnen vorüber und trat der Frau ohne irgendeinen Grund ins Gesicht. Wimmernd brach sie zusammen.
»Elendes Pack, macht, dass ihr fortkommt!« Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt grinsend an Marianne vorbei.
Marianne beobachtete voller Mitleid, wie sich das achtjährige Mädchen tröstend über seine Mutter beugte, um ihr aufzuhelfen.
Die Erinnerung an die gruseligen Geschichten, die sie in der Gaststube über die Schweden aufgeschnappt hatte, kehrte zurück.
Es war bereits dunkel, als sie den Tross erreichten. Marianne griff müde nach Alberts Hand, der ihr vom Wagen half. Ihr Kopf dröhnte, und ihr war kalt, denn ein kühler Wind, entferntes Donnergrollen und Wetterleuchten kündigten ein Gewitter an. Albert führte sie durchs Lager, redete ununterbrochen auf sie ein und deutete erklärend nach allen Seiten. Immer wieder wurde er laut gegrüßt, und manch einer rief dem seltsam wirkenden Paar anzügliche Bemerkungen hinterher.
Überall brannten kleine Feuer, Rauch und der Geruch von Gebratenem hingen in der Luft, fröhliche Musik und lautes Lachen waren zu hören, doch Marianne war wie betäubt.
Wenig später setzte Albert Marianne auf eine einfache Holzbank, die vor einem großen Lagerfeuer stand, und begrüßte jemanden, den Marianne nur schemenhaft im Licht der Flammen wahrnahm. Fröstelnd rieb sie sich die Arme, während der Wind das Feuer aufpeitschte und Funken durch die Luft flogen. Neben ihr saß ein alter Mann, der irgendeine Geschichte erzählte, in der es Winter und bitterkalt war, doch sie hörte ihm nicht zu, sondern starrte in die Flammen und beobachtete den Tanz der hellen Punkte, die, vom Wind getrieben, immer weiter aufflogen. Albert setzte sich neben sie und reichte ihr eine Schale mit verführerisch duftender Hühnersuppe.
»Hast du Hunger? Die Suppe schmeckt hervorragend.«
Marianne wollte nicht reden und antwortete nicht. Dieser blonde Mann war der Grund dafür, dass sie hier war. Nicht eines Blickes würde sie ihn würdigen.
Jemand trat hinter die beiden.
»Lass das Mädel erst mal ankommen«, sagte eine weibliche Stimme. »Sie weiß doch noch gar nicht, wie ihr geschieht.«
Albert nickte und warf Marianne einen fürsorglichen Blick zu.
»Du hast recht, Milli. Wir haben ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt. Morgen früh sieht die Welt bestimmt ganz anders aus.« Er erhob sich und verschwand. Stumm blickte Marianne in die Flammen und bemerkte nicht, dass die Frau ihr eine Decke über die Schultern legte.
»Aber Durst wirst du doch haben«, sprach sie der Geschichtenerzähler an, der noch immer neben ihr saß.
Marianne reagierte zum ersten Mal, wandte den Kopf und blickte in gutmütige Augen, die in einem faltigen Gesicht lagen. Ihre Kehle war ausgetrocknet und rauh.
Dankbar griff sie nach dem Becher, den ihr der Alte reichte. Was auch immer darin war, es tat ihr gut. Brennend rann die Flüssigkeit ihren Hals hinunter und wärmte ihren Magen. Sie sog hörbar die Luft ein und begann zu husten. Der Alte schlug ihr lachend auf den Rücken.
»Siehst du, Mädchen, was so ein ordentlicher Branntwein nicht alles geraderücken kann, schon hast du wieder Farbe im Gesicht.«
Der Alte war dann auch der Letzte, den Marianne sah, denn Müdigkeit und Erschöpfung gewannen die Oberhand, und sie schlief ein.
*
Als sie langsam die Augen öffnete, blickte sie auf eine weiße Zeltdecke über sich. Es regnete, was sich auf dem Zeltdach wesentlich lauter anhörte als in ihrer alten Dachkammer. Es herrschte dämmriges Licht, anscheinend war es noch früh am Morgen. Irgendwo in der Ferne weinte ein Kleinkind, und vor dem Zelt liefen leise kichernd einige Frauen vorbei, dann war es wieder still. Ihr Kopf dröhnte, und ihr war kalt. Plötzlich vermisste sie Anderl, seine Wärme und Nähe fehlten ihr, und sie fühlte sich unsagbar einsam. Leise begann sie zu schluchzen und schloss die Augen. Sie wollte das alles nicht sehen, wollte in ihren Träumen versinken, in denen die Welt so war, wie sie sie kannte.
Es hatte zu regnen aufgehört, als sie einige Zeit später erneut erwachte. Die Sonne war aufgegangen, und Blätterschatten tanzten über das Zeltdach. Sie rieb sich die Augen, richtete sich auf und musterte ihre Umgebung. Das Zelt war nicht besonders groß. Mehrere bunte Decken, meist aus
Weitere Kostenlose Bücher