Das Pestkind: Roman (German Edition)
ihn. Jeder hier war seines eigenen Glückes Schmied.
Friedrich schien seine Gedanken erraten zu haben.
»Du denkst, dass ich selbst Schuld daran habe!«, brüllte er.
Albert und Claude wichen zurück.
»Aber das habe ich nicht, denn ich kenne die Schuldige. Es kann nur sie gewesen sein, denn ich habe in der letzten Zeit nur bei ihr gelegen. Und ich Idiot habe sogar überlegt, ihr einen Antrag zu machen. Wie dumm ich doch gewesen war, aber das soll sie mir büßen!«
Er ballte seine Fäuste lief zu den beiden Pferden, schwang sich auf eines von ihnen, gab ihm die Sporen und ritt davon.
Völlig verdutzt blickten Albert und Claude ihm hinterher. Der Franzose war der Erste, der die Fassung wiedererlangte.
»Er ist verrückt, durchgedreht. Schnell! Wir müssen ihm folgen. Welches Mädchen es auch immer ist, sie schwebt in großer Gefahr.«
*
Marianne erwachte von dem lauten Zwitschern der Vögel und blinzelte verschlafen zu dem Zeltdach hinauf, auf das die Sonne helle Kreise malte. Sie schlug die Decke zurück, streckte sich gähnend, schlich leise zu einer der Kleidertruhen und griff nach ihrem Korsett. Inzwischen hatte sie sich an das ungeliebte Kleidungsstück gewöhnt, obwohl sie es bei der Hitze für vollkommen überflüssig hielt. Doch sie hatte eingesehen, dass das Korsett zu ihrer Kleidung dazugehörte, denn nur die armen Bauernmädchen und Huren trugen keines. Noch vor kurzem war sie auch so ein Mädchen gewesen, dachte sie und zog umständlich an den Bändern im Rücken. Wenn sie genauer darüber nachdachte, war sie eigentlich sogar weniger wert gewesen als die Huren oder Bauernmädchen.
Helene riss sie aus ihren Gedanken. Sie stand plötzlich hinter ihr und half ihr beim Schnüren des Korsetts.
»Guten Morgen, Marianne. Wo willst du denn zu so früher Stunde schon hin?«
Marianne sah Helene überrascht an.
»Ich dachte, du schläfst noch?«
Helene zuckte mit den Schultern.
»Ich bin schon eine ganze Weile wach.« Sie deutete nach draußen. »Ich habe vor dem Zelt gesessen und der Sonne beim Aufgehen zugesehen. Es ist schön, wenn der Morgen erwacht und der Tau auf den Feldern glitzert.«
Helene band die letzte Schleife und begutachtete ihr Werk.
»Ist es gut so? Nicht zu eng?«
Marianne nickte und drehte sich um.
»Ja, so wird es gehen.«
Erst jetzt fiel ihr auf, dass Helene bereits komplett angekleidet war. Sie trug ein rosafarbenes Kleid aus dünnem Leinen, das sie mit einem breiten gelben Samtband in der Taille zusammengebunden hatte. Sie sah sehr hübsch aus. Der Ton des Kleides unterstrich ihre Zartheit und passte zu ihren blonden Haaren.
Marianne griff nach dem hellblauen Kleid, in dem sie in den letzten Tagen ständig herumlief. Inzwischen hatte sie sich an die hübschen Kleider gewöhnt und freute sich jeden Morgen darauf, eines dieser Kunstwerke anzuziehen.
»Also, wo wolltest du hin?«, fragte Helene erneut, während sie Marianne einen Zopf flocht und diesen nach oben steckte.
»Frühstücken«, erwiderte Marianne, und wie bestellt begann ihr Magen deutlich hörbar zu knurren.
Die beiden lachten.
»Milli ist bestimmt schon wach. Sie zaubert wundervolle Spiegeleier, und sicher hat sie frisch gebackenes Fladenbrot.«
Helene sah ihre Freundin skeptisch an.
»Du weißt, dass wir mit Anna Margarethe und den Damen zu Tisch gehen sollten? Ich wurde auf dein häufiges Fehlen bereits angesprochen.«
Marianne sah Helene flehend an. Sie verabscheute das Frühstück mit den Damen. Es wurde stets schweigend eingenommen, nur ab und an leistete ihnen der Pfarrer Gesellschaft, der dann Passagen aus der Bibel vortrug, was dem Ganzen einen noch steiferen Charakter verlieh.
Helene gab nach. Sie selbst konnte dem Frühstück mit den Damen ebenfalls nichts abgewinnen, und Marianne hatte recht. Millis Eier schmeckten hervorragend.
»Aber dafür erzählst du mir nachher wieder eine deiner Geschichten.« Helene hob mit gespielt ernster Miene den Zeigefinger.
Marianne lächelte. Helene hatte eine Vorliebe für Liebesgeschichten. Marianne hatte ihr zuerst all diejenigen erzählt, die sie sich von den Gauklern und Minnesängern gemerkt hatte. Später war sie dann dazu übergegangen, sich selbst welche auszudenken. Stattliche Innschifffahrer verliebten sich darin zumeist in hübsche, sittsame Mädchen und nahmen sie mit auf ihre Reisen.
Sie traten aus dem Zelt, und Marianne hob schützend die Hand gegen die blendende Sonne über die Augen.
Geschäftig liefen einige Mägde mit Wäschekörben,
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