Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
Vom Netzwerk:
sah sie den Grashalm an.
    »Es ist schwierig, obwohl es so einfach aussieht.«
    »Du musst einen breiteren Halm nehmen«, erklärte Marianne. »Siehst du, so wie diesen.« Sie hielt sich erneut einen Grashalm an die Lippen, und wieder erklang ein schriller Pfiff.
    Helene sah sie begeistert an und versuchte es ebenfalls noch einmal. Voller Ehrgeiz riss sie Halm um Halm ab, und irgendwann schaffte sie es tatsächlich und zauberte einen Ton hervor. Sie strahlte über das ganze Gesicht, plötzlich war aller Kummer verschwunden.
    »Siehst du«, sagte Marianne, »es ist gar nicht schwierig.«
    Helene nickte und blickte erneut auf den rot erleuchteten Nachthimmel. Allmählich zog der Brandgeruch zu ihnen herüber, und die Grillen verstummten.
    Lange Zeit sagte keine von beiden ein Wort, doch dann durchbrach Helene die Stille.
    »Danke.« Sie legte Marianne die Hand auf den Arm.
    »Wofür?«
    »Dafür, dass du da bist.«
    Marianne legte ihre Hand auf die der Freundin.
    »Ich muss mich bedanken. Immerhin hat man mich dir aufgehalst, und du hast mir nie das Gefühl gegeben, eine Last zu sein.«
    Helene lächelte.
    »Ich stehe bei Anna Margarethe in der Schuld. Immerhin muss ich mich jetzt nicht mehr ständig mit den feinen Damen abgeben.«
    Marianne sah Helene erstaunt an.
    »Ich dachte, deren Gesellschaft würde dir gefallen?«
    »Die Einzige, die wirklich nett ist, ist Anna Margarethe Wrangel selbst, die anderen sind eher schwierig«, antwortete Helene.
    Marianne riss die Augen auf.
    »Anna Wrangel ist nett?«
    »Zu mir war sie es immer. Vom ersten Tag an hat sie mich herzlich aufgenommen.«
    Marianne lachte leise.
    »Na, da hast du es aber besser als ich. Mich würdigt sie noch immer keines Blickes.«
    Helene zuckte mit den Schultern.
    »Woran das liegt, weiß ich auch nicht, aber sie spricht nie schlecht von dir. Das kannst du mir glauben.«
    »Das wird ihr nicht sonderlich schwerfallen«, erwiderte Marianne. »Gewiss wird sie von mir gar nicht sprechen.«
    »Erraten.« Helene grinste verschmitzt.
    Marianne kroch vom Eingang weg. Sie konnte den Anblick des roten Himmels nicht mehr ertragen und schlüpfte unter ihre Decke. Sie schloss die Augen und versuchte, den Feuergeruch zu ignorieren. Irgendwann, als sie bereits in einen leichten Schlaf gefallen war, rüttelte Helene sie wieder wach.
    »Kann ich heute Nacht bei dir schlafen?«, fragte die Freundin schluchzend.
    »Aber natürlich.«
    Marianne hob ihre Decke an, und Helene kroch darunter.
    »Ich habe Angst«, flüsterte sie nach einer Weile.
    Marianne schloss die Augen und murmelte:
    »Das hätte ich an deiner Stelle auch.«
    *
    Das Schloss lag in Schutt und Asche, an einigen Stellen stieg schwarzer Rauch in die Höhe, und überall lagen Leichen herum. Albert blickte in den wolkenlosen Himmel. Im Osten kündigte helles Morgenrot den Tag an, bereits jetzt war es warm. Es würde wieder einer dieser heißen Tage werden, an denen die Sonne unerbittlich von einem wolkenlosen Himmel brannte. Langsam kam es ihm so vor, als würde Gott sie für ihre Taten bestrafen.
    Er war müde, und der metallene Geschmack von Blut lag ihm auf der Zunge, seine Kleidung war schmutzig, er war nass geschwitzt, aber unverletzt.
    Gestern noch hatten hier feste Mauern gestanden, und große Stallungen hatten trotz der schlechten Zeiten einige Tiere beherbergt. Das Gemäuer war schlicht und einfach gewesen – wenig feudal für ein Landgut, das den Beinamen Schloss trug.
    Jetzt waren sämtliche Mauern eingerissen, die Stallungen niedergebrannt und alles Vieh abgeschlachtet. Die wenigen, die mit heiler Haut davongekommen waren, saßen irgendwo in den Wäldern, die das Schloss und die Weiden umgaben, und hielten zitternd nach dem Feind Ausschau.
    Sein Bruder war unerbittlich, denn bereits seit einer Weile beschäftigten sich einige Soldaten damit, die Wälder zu durchsuchen. Grauenvolle Schreie drangen von fern an sein Ohr.
    Claude stand neben ihm und blickte sich um.
    »Viel haben wir nicht gefunden.«
    Wie aufs Stichwort rannte eine Gruppe Soldaten laut grölend an ihnen vorbei, in den Händen einige Silberbecher.
    Albert schaute seufzend auf die Leiche eines niedergemetzelten Mannes, der mit halb abgetrenntem Kopf und aufgeschlitztem Leib vor ihnen lag und sie mit verzerrtem Gesicht anstarrte. Seine Gedärme hingen heraus, und sein Blut verteilte sich über den lehmigen Boden.
    »Das habe ich mir fast gedacht.« Er wandte den Blick von dem Toten ab.
    Der Franzose zuckte mit den Schultern.
    »Außer

Weitere Kostenlose Bücher