Das Pestkind: Roman (German Edition)
wie die der Minnesänger auf dem Marktplatz, die sie früher immer so gern gehört hatte.
»Wir verlobten uns und waren glücklich. Ich lernte Anna Margarethe kennen, die mich sofort in ihren Kreis aufnahm und mit mir Hochzeitspläne schmiedete. Doch dann fand die Schlacht in Zusmarshausen statt, aus der mein Geliebter nicht mehr zurückkam.«
Helene schwieg.
»Es tut mir leid.« Marianne strich behutsam über Helenes Hand, mit der diese sich unbewusst an der Bank festklammerte.
»Ist schon gut«, wiegelte sie ab. »Es ist vorbei. So ist eben das Leben.«
»Was ist mit dem Leben?«, fragte Milli, die näher trat und sich die Hände an ihrer Schürze abwischte.
»Ach, nichts«, erwiderte Marianne.
Milli sah die beiden verwundert an.
»Ihr macht ja Gesichter wie sieben Tage Regenwetter. So schlimm ist es auch wieder nicht. So wie es kommt, kommt es eben, ändern können wir sowieso nichts daran. Wir liegen alle in Gottes Hand. Und jetzt hört auf damit, Trübsal zu blasen, und macht euch fort, denn für heute ist Schluss.«
Später saß Marianne vor dem Eingang ihres Zeltes und blickte in die Nacht hinaus. Seit sie Mühldorf verlassen hatten, hatte es nicht mehr geregnet, und die Sonne brannte jeden Tag gnadenlos vom Himmel.
In der Ferne verfärbte sich der Himmel feuerrot. Schüsse hallten durch die Nacht, und weit entfernt hörte man das Geschrei von Menschen. Marianne rieb sich fröstelnd die Arme. Hier zirpten die Grillen, und die Sterne versprachen einen trügerischen Frieden, während nicht weit entfernt ihr Licht im Schein der Flammen verblasste.
Helene trat aus dem Zelt, setzte sich neben sie und blickte ebenfalls auf den roten Himmel.
»Ich kann das Geschrei der Leute bald nicht mehr hören«, sagte Marianne. »Warum müssen sie nur so grausam sein? Die Menschen haben ihnen doch nichts getan.«
Helene zuckte mit den Schultern.
»An irgendwem muss Wrangel doch seine Wut auslassen.«
Irgendwie war es seltsam, dachte Marianne. Helene fand immer die passenden Worte, um ihr die Dinge zu erklären.
Helene zupfte einen Grashalm ab und begann, ihn um ihren Finger zu wickeln.
»Ich frage mich, ab wann man weiß, ob man die Franzosenkrankheit hat.«
Marianne sah sie erstaunt an. Zum ersten Mal sprach Helene offen darüber.
»Milli kann dir diese Frage bestimmt beantworten.«
Mitleidig sah sie ihre Freundin an. Die Ungewissheit musste schrecklich sein.
»Ich brauche kein Mitleid.« Helene erriet Mariannes Gedanken. »Ich bin selbst schuld, niemals hätte ich mich auf Friedrich einlassen dürfen.« Sie warf den Grashalm fort und sah Marianne ernst an.
»So wie du müsste ich sein. Du weißt irgendwie alles. Vom ersten Moment an hast du dich immer richtig verhalten. Du hast es geschafft, den beliebtesten Junggesellen des Lagers nur mit deinem Liebreiz für dich zu gewinnen, obwohl du das doch eigentlich gar nicht wolltest. Du hattest bis vor ein paar Wochen nicht einmal eine Ahnung davon, was ein Tross ist und was einen Offizier oder einen General ausmacht. Für dich gab es nur dich und deine kleine Welt in Rosenheim.«
Marianne wollte etwas erwidern, doch Helene sprach weiter.
»Ich weiß, du hast deinen Stiefbruder verloren. Aber wie viele Menschen in diesem Krieg haben jemanden verloren?
So wie du hätte ich es auch machen sollen, doch ich habe stattdessen meine Tugend verschenkt. Keiner der jungen Offiziere hat mir nach dem Tod meines Verlobten wirklich den Hof gemacht. Sie alle kamen nur dann, wenn es um das eine ging, und ich war so dumm und habe es ihnen gegeben. Ich habe immer gedacht, irgendwann würde einer von ihnen bleiben, aber so war es nie.«
Marianne hörte ihr schweigend zu. Ihre Worte taten weh. Lange hatte sie nicht mehr an zu Hause gedacht. Plötzlich sah sie Anderls Augen, Pater Franz und ihren geliebten Rosengarten vor sich und schien Haferbrei mit Honig auf der Zunge zu schmecken.
Helene riss erneut einen Grashalm ab. Marianne tat es ihr nach.
»Man kann auf ihnen pfeifen«, sagte sie und hielt den Grashalm an die Lippen. Es funktionierte. Ein schriller Pfiff erklang. Helene sah sie verwundert an.
»Woher kannst du das denn?«
»Anderl und ich haben uns oft an den Fluss geschlichen, wenn Hedwig geschlafen hat oder sonst irgendwie beschäftigt gewesen war. Wir lagen dann im Gras und haben die Wolken beobachtet. Anderl hat es mir beigebracht.«
Helene riss erneut einen Grashalm ab und hielt ihn an die Lippen, aber mehr als Prusten brachte sie nicht zustande. Verdutzt
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