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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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Stimme gefragt: »Warum wird einer wie ich verschont, der seines L e bens müde und r eif für die Ernte ist, während die Jungen im unreifen Zustand gepflückt werden?« Kopfschüttelnd tätschelte ich seine Hand. Für eine Antwort versagte mir die Stimme.
    Darüber unterhielten Elinor und ich uns auf dem Rückweg zum Pfarrhaus. Noch immer waren wir dem Rätsel nicht näher gekommen, warum die Pest die einen mitriss, aber nicht die anderen. Jene wen i gen, die sich wie Andrew Merrick auf ein Leben in Höhlen oder rohen Hütten fernab von Mitmenschen zurückgezogen hatten, waren der Ansteckung ganz sicher entkommen. So viel wussten wir: Nähe zum Kranken brachte Krankheit mit sich. Aber das hatten wir schon immer gewusst. Dennoch blieb die Frage, warum einige am Leben blieben, die mit allen im Haus lebten und mit den Kranken Essen, Bettzeug, ja sogar dieselbe Atemluft teilten. Ich sagte, wenn Mi s ter Stanley zu denen spreche, die sein Wort hören wollten, vertrete er die Meinung, dass uns diese Auswahl nur deshalb zufällig erscheine, weil sie ganz bei Gott liege.
    »Das weiß ich«, erwiderte Elinor. Geistesabw e send zupfte sie im Gehen an den Geißblattranken, die durch die Hecken wuchsen. Ich hatte ihr gezeigt, wie man den Nektar aus den Blüten saugt. Nun nahm sie die Blüten zwischen die Lippen und sog ihre Süße aus wie jedes bescheidene Landmädchen auch. »Mi s ter Stanley hat seit jeher geglaubt, Gott ließe all j e nen Leid zuteil werden, denen er nach dem Tode das Fegefeuer ersparen möchte. Anna, diese Ansicht kann ich nicht teilen. Und doch, wie könnten wir das wissen? Mister Mompellion bringt solche Dinge in seinen Predigten nicht mehr zur Sprache. Mittlerwe i le geht es ihm nur noch darum, unseren Geist zu erbauen und uns in unserer Entschlossenheit zu b e stärken.«
    Wir verfielen in Schweigen. Ich versuchte, diese schwierigen Gedanken von mir fern zu halten, indem ich mich einzig und allein auf den Augenblick ko n zentrierte, den Turmfalken bei ihren trägen Runden zuschaute und dem rauen Krächzen der Wachtelk ö nige lauschte. Als Elinor hustete, redete ich mir ein, ich hätte ein Krächzen gehört. Weder blieb ich st e hen, noch drehte ich mich um, um sie anzusehen, sondern ging einfach weiter. Wenige M i nuten später hustete sie erneut. Diesmal ließ es sich nicht mehr ignorieren. Von Hustenkrämpfen geschü t telt, blieb sie stehen und presste ein Stück Spitze auf den Mund. Sofort drehte ich mich um und legte ihr zur Stütze einen Arm um die Schultern. Mein G e sicht musste die Tiefe meiner Gefühle widergespiegelt h a ben, denn sie sah mich an und versuchte, trotz des Hustens zu lächeln. Als der Anfall verebbte, schob sie mich spielerisch mit den Worten von sich: »Jetzt aber, Anna, begrab mich doch nicht gleich beim er s ten Husten!«
    Aber kein Lachen holte mich aus dem Entsetzen, das mich gepackt hatte. Ich legte ihr die Hand aufs Gesicht. Da der Abend warm war und wir schon ziemlich lange unterwegs waren, konnte ich nicht feststellen, ob ihre erhitzte Stirn ein Anzeichen für Fieber war oder nicht.
    »Setzen Sie sich hin«, sagte ich und deutete auf einen großen flachen Stein im Schatten einer Ebe r esche. »Setzen Sie sich, während ich vorauslaufe und Mister Mompellion hole.«
    »Anna!«, sagte sie in einem Ton, der sich jeden Widerspruch verbat. »Hör sofort auf damit! Genau das wirst du nicht tun!« Sie fühlte ihre Stirn und warf den Kopf hoch, als wolle sie die Hitze abschütteln, die sie dort sicher verspürte. »Ich merke lediglich, dass ich vielleicht eine leichte Erkältung bekomme, und ich möchte nicht, dass du so ein Theater machst und mich in Panik versetzt! Ich bitte dich um ein w e nig Selbstbeherrschung. Schließlich bist du nach a l lem, was wir gemeinsam gesehen und getan haben, kein Kind mehr, das beim geringsten Hauch zittert. Sollte ich ernsthaft krank sein, wirst du der erste Mensch sein, dem ich mich anvertraue. Bis dahin wag ja nicht, Mister Mompellion damit zu beunruh i gen.«
    Forschen Schritts ging sie weiter, und ich hinte r drein. Als i ch sie eingeholt hatte, griff ich nach ihrem Arm. Sie ließ es geschehen. Im Gehen versuchte ich, auf jedes Detail zu achten: die Art, wie ihre Finger auf meinem Handgelenk lagen, das sachte Schwa n ken ihres Körpers, das Maß ihrer Schritte. Für die leuchtenden Butterblumen hatte ich keine Augen mehr, und auch keine Ohren für den Gesang der V ö gel. Meine Augen trübten sich, Tränen liefen mir u n gehindert

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