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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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seine Predigten zusammenzustellen, die Mut machen sol l ten. Während dieser Zeit begannen seine Treffen mit seinem alten Freund Mister Holbroke, Pfarrer von Hathersage. Obwohl ich »Treffen« sage, verwende ich dieses Wort nicht im üblichen Sinn. Dazu begab er sich auf die Anhöhe oberhalb von Mompellions Well, wo er auf seinen Amtsbruder wartete. Mister Holbroke näherte sich so weit, wie er wagte – auf ungefähr eine Messkette. Dann begann das Gespräch, wenn man es so nennen möchte. Mit lauten Zurufen überbrückten sie den Abstand zwischen sich. Wenn Mister Mompellion dem Grafen oder seinem Gönner, Elinors Vater, einen Brief schicken wollte, diktierte er ihn Mister Holbroke. Auf diese Weise würde sich der Briefempfänger keine Gedanken machen, weil er ein Blatt aus einer Hand erhielt, die die Hände von Pestopfern berührt hatte.
    Manchmal kehrte Mister Mompellion von diesen Begegnungen ein wenig froher gestimmt zurück. Bei anderen Gelegenheiten schien ihn der Kontakt mit der Außenwelt sogar noch mehr zu bedrücken. Wä h rend ich meiner Arbeit nachging, hörte ich, wie ihm Elinor mit ihrer tiefen, beruhigenden Stimme leise zuredete. Stets ermunterte sie ihn und erklärte ihm, er sei für uns alle der Urheber vieler guter Dinge, egal, wie dunkel gegenwärtig die Tage auch scheinen mochten.
    An einem solchen Nachmittag war ich mit einem Tablett Erfrischungen vor der Tür gestanden, hatte ihre leisen Stimmen – hauptsächlich ihre – gehört und mich davongestohlen, u m sie nicht zu stören. Als ich kurze Zeit später mit dem Tablett wiederkam und nichts hörte, hatte ich die Tür einen Spalt geöffnet und hineingespäht. Elinor war erschöpft in ihrem Stuhl eingeschlafen. Hinter ihr stand Michael Mo m pellion und beugte sich leicht über sie. Seine Hand schwebte in der Luft, knapp über ihrem Kopf.
    Er will ihre Ruhe nicht stören, dachte ich, nicht einmal für eine Zärtlichkeit. Ist je ein Paar so zärtlich miteinander umgegangen? Herrgott, ich danke dir, dass du sie füreinander bewahrt hast, dachte ich. Doch während ich noch dastand und gierig ihre Int i mität belauschte, überfiel mich ein durch und durch niederträchtiges Gefühl. Warum sollten sie einander haben, während ich niemanden hatte?
    Sofort war ich auf beide eifersüchtig. Auf ihn, weil Elinor ihn liebte und ich nach einem größeren Teil ihrer Liebe hungerte, als ich mir je erhoffen konnte. Und doch war ich auch auf sie eifersüchtig. Eife r süchtig, weil sie von einem Mann so geliebt wurde, wie eine Frau geliebt werden sollte. Warum sollte ich mich in meinem kalten und leeren Bett herumwälzen, während sie bei ihm Trost fand? Verstohlen entfernte ich mich von der Türe und versuchte, meine zitter n den Hände ruhig zu halten, damit mich das klapper n de Tablett nicht verriet. Ich betrat die Küche und ging zum Waschtrog, wo ich das Tablett abstellte. Dann nahm ich die zierlichen Schalen, erst seine, dann ihre, und warf sie nacheinander gegen den u n nachgiebigen Stein.

 
    Ein großer Brand
     
    Al s ich Elinor zum ersten Mal husten hörte, zwang ich meine Ohren mit Gewalt dazu, es nicht zu gla u ben. Es war einer jener milden Sommertage, die wie Pusteblumen auf der nach Geißblatt duftenden Brise dahintrieben. Nach Besuchen bei den Gesunden, statt bei den Kranken – wenigstens einmal! –, waren wir im hellen Abendschein auf dem Rückweg zum Pfarrhaus. Elinor hatte unbedingt bei den sechs oder acht alten Leuten vorbeischauen wollen, die die Pest überlebt hatten, obwohl ihre kräftigen Söhne und Töchter ihr zum Opfer gefallen waren. Bei diesen Witwen und Witwern handelte es sich um Menschen, die ihr schon vor der Pest sehr am Herzen gelegen waren. Doch da die Notlage der Sterbenden vorg e gangen war, hatte sie die Lebenden sich selbst übe r lassen müssen, egal, wie bedürftig sie waren.
    Bis auf einen hatten wir alle wohlauf angetroffen. James Mallion, eine zahnlose, gebeugte arme Seele, war im Dunkeln gehockt, halb verhungert und sehr bedrückt. Gemeinsam hatten wir ihn hinaus an die warme Luft getragen und ihn gefüttert. Zuvor hatte ich mir die Mühe gemacht, das Essen so fein zu ze r stoßen wie für ein kleines Kind. Während ich ihm den weichen Brei einlöffelte und die Tropfen vom Kinn wischte, musste ich ans Füttern meiner eigenen Babys denken. Ungewollt stieg mir eine Träne ins Auge. Daraufhin hatte er mich mit seiner klauenäh n lichen Hand am Arm gepackt, mich aus wässrigen Augen gemustert und mit zittriger

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