Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
Vom Netzwerk:
übers Gesicht.
    Elinor blieb stehen und schaute mich mit einem leisen Lächeln auf den Lippen an. Sie hob die Hand mit dem kleinen Spitzentaschentuch und wollte mir schon die Tränen damit abwischen, da hielt sie mi t ten in der Bewegung inne, zerknüllte das weiße Quadrat und barg es in der Tiefe ihres Korbs.
    Das sagte mir alles. Jetzt weinte ich erst richtig. Mitten auf dem Feld.
     
    Was soll ich über die nächsten drei Tage sagen, was noch nicht schon längst gesagt wurde? Elinors Fieber stieg. Sie hustete und nieste, wie andere g e hustet und genießt haben. Michael Mompellion und ich ve r suchten, sie zu trösten, wie wir so viele andere zu trösten versucht hatten.
    Ich war so oft an ihrer Seite, wie es Taktgefühl und Pflicht erlaubten. Denn selbstverständlich war es ihr Michael, der in erster Linie Anrecht auf ihre let z ten Stunden hatte, während es meine Aufgabe war, ihm möglichst viel von seiner eigenen Arbeit abz u nehmen. Aber einige Dinge konnte ich nicht tun. Von Zeit zu Zeit wurde er weggerufen, um seine Pflicht an anderen Sterbebetten zu erfüllen. Und so fand ich mich allein mit Elinor wieder. Ich badete ihr gerötetes Gesicht mit in Minzewasser getauchten Leinentüchern und betrachtete eingehend ihre zarte Haut, immer in Erwartung jenes schrecklichen A u genblicks, wenn unter ihrer allgemeinen Röte die ro t schwarzen Blätter der Pestrosen aufblühten. Wie silbrige Spitze klebten ihre feinen Haare auf der feuchten Stirn.
    Für mich war sie so vieles geworden, so vieles, worauf ein Dienstbote kein Anrecht hat. Noch darf er sich einbilden, dass der Mensch, dem er dient, dies je sein wird. Ihr verdankte ich es, dass ich die Wärme mütterlicher Fürsorge kennen gelernt hatte, eine Fü r sorge, die mir durch den frühen Tod meiner Mutter entgangen war. Ihr verdankte ich es, dass ich eine Lehrerin gehabt hatte und nicht mehr unwissend war, sondern lesen und schreiben konnte. Manchmal hatte ich während unserer gemeinsamen Kräuterarbeit in der Pfarrküche vergessen, dass sie meine Herrin war, ja ihr sogar Anweisungen für diesen oder jenen Handgriff gegeben, den ich besonders gut beherrsc h te. Nie erinnerte sie mich an meine Stellung. Tief in meinem Herzen konnte ich es flüstern: Sie war meine Freundin, und ich liebte sie. Wenn mir manchmal zu später Nachtzeit Erschöpfung die Sinne vernebelte, machte ich mir Vorwürfe wegen ihres Zustands, den ich als Strafe für meine sündhafte Dreistigkeit und Eifersucht empfand. Bei Tag war ich klarer im Kopf und wusste, dass ihre Krankheit dem Leid jedes a n deren Menschen glich, nicht mehr und nicht weniger. Aber in den dunklen Stunden konnte ich mein Herz nicht beherrschen. Jedes Mal, wenn Michael Mo m pellion kam, um bei ihr zu sitzen, flammte glühende Eifersucht in mir auf. Während ich das Zimmer ve r ließ, schäumte ich innerlich vor Wut, weil er mehr Anrecht auf den Platz an ihrer Seite hatte. Anfänglich zog ich mich nur bis kurz hinter die Türe zurück, wo ich sitzen blieb, um ihr möglichst nahe zu sein. Als mich Mister Mompellion dort entdeckte, half er mir freundlich auf, erklärte mir aber unmissverständlich, dass ich mich hier nicht herumtreiben dürfe. Vie l leicht sei es besser, wenn ich mich in meine Kate z u rückzöge, bis er mich rufen lasse.
    Um mich lange von ihr fern zu halten, hätte es mehr bedurft als nur seiner Worte. Als ich ihr am nächsten Tag die kühlenden Tücher auf die Stirn le g te, schien sie meine Gedanken zu lesen.
    Seufzend lächelte sie matt und flüsterte: »Das tut so gut.« Schwach flatterte ihre Hand auf meiner. »Ich kann mich als Frau glücklich schätzen, weil ich in meinem Leben so geliebt wurde … Weil mir ein Mann wie Michael geschenkt wurde und eine so li e be Freundin wie du, Anna.« Einen Augenblick schloss sie die Augen, dann öffnete sie sie wieder und musterte mich. »Weißt du eigentlich, wie sehr du dich verändert hast? Vielleicht ist das das einzig gute Ergebnis dieses Schreckensjahres. Oh, der Funke war schon damals klar in dir zu erkennen, als du das erste Mal zu mir kamst. Aber du hast dein Licht unter den Scheffel gestellt, als hättest du vor dem Angst, was geschehen würde, wenn es irgendjemand sah. Du glichst einer Flamme im Winde, die fast schon au s gelöscht war. Ich musste dich lediglich mit einem Glassturz bedecken. Und wie du jetzt leuchtest!« Mit einem matten Händedruck schloss sie die Augen.
    Nach einiger Zeit verlangsamte sich ihr Atem, s o dass ich dachte, sie wäre

Weitere Kostenlose Bücher