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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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eingeschlafen. Möglichst leise stand ich auf und schlich zur Tür. Eigentlich wollte ich das Waschbecken und die getragene Kle i dung entfernen. Aber sie hob erneut mit geschloss e nen Augen an: »Anna, hoffentlich wirst du in deinem Herzen auch Platz finden, um Mister Mompellion eine Freundin zu sein … Denn mein Michael wird Freundschaft bitter nötig haben.« Das Schluchzen, das in meiner Kehle aufstieg, ließ mich nicht antwo r ten. Aber anscheinend brauchte sie auch keine An t wort, denn nun legte sie ihr Gesicht ins Kissen und fiel tatsächlich in Schlaf.
    Ich konnte kaum mehr als zehn Minuten fort g e wesen sein, aber bei meiner Rückkehr erkannte ich sofort, dass sich ihr Zustand verschlechtert hatte. Ihr Gesicht war noch stärker gerötet, so stark, dass sich die feinen Blutgefäße auf ihren Wangen zu einem Spinnengewebe erweitert hatten. Ich legte ihr kühle Tücher auf, aber sie warf sich unter meinen Händen unruhig hin und her. Als sie mit einer seltsam hohen Jungmädchenstimme zu sprechen begann, begriff ich, dass sie im Fieberwahn lag.
    »Charles!«, rief sie kichernd. Ein leichtes, b e schwingtes Lachen strafte ihren ernsten Zustand L ü gen. Sie atmete heftig, als liefe oder ritte sie. Ich stellte sie mir vor: ein junges Mädchen in einem Se i denkleid auf dem Besitz ihres Vaters, in einem gr o ßen grünen Park, ganz dem Vergnügen hingegeben. Einige Augenblicke beruhigte sie sich, und ich hof f te, sie würde wieder einschlafen. Aber dann runzelte sie die Stirn und rang die Hände auf der Tagesdecke. »Charles?« Noch immer klang der Ton, mit dem sie diesen Namen rief, hoch und kindlich, diesmal aber bekümmert, aufgeregt, wehklagend.
    Ich war froh, dass ich die einzige Augenzeugin war, und nicht der Herr Pfarrer. Inzwischen stöhnte sie. Ich hielt ihre Hand fest und rief ihr zu, aber sie befand sich längst außerhalb meiner Reichweite. Und dann änderte sich plötzlich ihr Gesicht. Ihre Stimme wurde wieder die vertraute Erwachsenenstimme. Was sie dann sagte, geschah in einem derart intimen Flüsterton, dass ich rot wurde. »Michael … Michael, wie lange noch? Bitte, mein Liebster? Bitte …«
    Er hatte die Tür geöffnet und war ins Zimmer g e treten, ohne dass ich ihn gehört hatte. Seine Worte ließen mich aufspringen. »Das genügt, Anna«, sagte er mit einer merkwürdig kalten Stimme. »Wenn sie etwas braucht, werde ich dich rufen.«
    »Herr Pfarrer, es geht ihr viel schlechter. Sie liegt im Fieberwahn …«
    »Das kann ich selbst sehen«, fuhr er mich an. »Du kannst gehen.«
    Zögernd stand ich auf und zog mich in die Küche zurück. Dort saß ich und wartete besorgt. Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich erwachte, sangen die Vögel. Sonnenschein strömte durch die hohen Fl ü gelfenster und fiel in breiten Streifen wie gelbe Ma i baumbänder über den Küchenboden. Leise s chlich ich im buttergelben Sommerlicht nach oben. Vor i h rem Schlafzimmer blieb ich stehen und lauschte auf Geräusche von drinnen.
    Alles war still. Sachte schob ich die Türe einen Spalt auf. Elinor lag tief in ihren Kissen, von der i n tensiven Röte in ihrem Gesicht war nichts mehr zu sehen. Sie war so blass wie die Tagesdecke und re g los wie ein Stein. Michael Mompellion lag am F u ßende ihres Bettes und hatte die Hände nach ihr au s gestreckt, als wollte er ihre flüchtige Seele erh a schen.
    Drei Tage hatte ich gegen diesen Aufschrei ang e kämpft. Nun entrang sich mir ein lautes Stöhnen aus Kummer und Einsamkeit. Michael Mompellion regte sich nicht, nur Elinor schlug die Augen auf und l ä chelte mich an.
    »Das Fieber ist gebrochen«, flüsterte sie. »Ich li e ge hier schon eine ganze Stunde wach und sehne mich nach einer Gewürzmilch. Ich bin ganz ausg e trocknet, konnte aber nicht nach dir rufen, weil ich meinen armen, müden Michael nicht wecken wol l te.«
    Ich flog die Treppe hinunter, um die Milch zu k o chen. Während ich sie erhitzte, hätte ich zum ersten Mal seit fast einem Jahr am liebsten laut gesungen. An jenem Tag stand Elinor kurz aus ihrem Bett auf. Ich setzte sie in einen Sessel am Fenster, das ich weit aufgestoßen hatte. Während sie auf ihren geliebten Garten hinaussah, schaute Mister Mompellion sie so unverwandt an, als sähe er eine Vision. Immer wi e der fand ich Ausreden, um erneut ins Zimmer zu kommen: Essen, frische Betttücher, Krüge voll wa r mem Wasser. Alles, um mich auch ja zu vergewi s sern, dass ich dies nicht geträumt hatte.
    Am nächsten Tag meinte sie, sie

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