Das Pesttuch
Teller. Für mich war es das köstlichste Fes t mahl meines Lebens. Obwohl wir nur wenig Worte wechselten, während wir dem knisternden Feuer z u schauten, war es eine freundliche Stille – nicht das übliche leere Schweigen, das meine Nerven blank legte. Als wir endlich in mein Bett hinaufkletterten, lagen wir lange Zeit nur da und schauten einander mit fest verschlungenen Händen tief in die Augen, während sich unsere Haare auf dem Kissen mischten. Irgendwann in den frühen Morgenstunden nahm ich ihn noch einmal, erst langsam, dann voller Leide n schaft. Ich warf mich über ihn. Er hielt mich an den Handgelenken fest und schrie laut vor Lust. Ich konnte spüren, wie sich das Stroh in meinem dünnen Lager bewegte und die alten Dielenbretter klagend knarzten. Als wir endlich voneinander abließen, fiel ich in einen erschöpften, traumlosen Schlaf, aus dem ich erst am Morgen erwachte.
Im ganzen Raum duftete es süß nach Stroh, das aus den aufgeplatzten Nähten meines Lagers gefallen war. Durch die rautenförmigen Scheiben des Fenste r flügels fiel Licht auf seinen langen, reglosen Körper. Auf einen Ellbogen gestützt, schaute i ch ihn an und zeichnete mit einer Fingerspitze die hellen Winkel auf seiner Brust nach. Dadurch erwachte er, regte sich aber nicht, sondern beobachtete mich seinerseits, wobei sich die Krähenfüße um seine Augen vor Lust zusammenzogen. Beim Anblick meiner Hand auf seiner Brust, dieser roten, abgearbeiteten Haut, dac h te ich an Elinors zarte, blasse Finger. Ob ihn mein derberes Fleisch wohl abstieß?
Jetzt griff er nach meiner Hand und küsste sie. Ich zog sie zurück, weil ich mich für ihr Aussehen schämte, und platzte mit dem Gedanken heraus, der mir nicht mehr aus dem Kopf g ing – »Wenn du bei mir liegst«, flüsterte ich, »denkst du dann an Elinor? Liegst du dann in Gedanken wieder bei ihr?«
»Nein«, sagte er, »solche Erinnerungen habe ich nicht.«
Ich dachte, dies sagte er aus Rücksicht auf mich. »So etwas musst du nicht sagen.«
»Ich sage es nur, weil es wahr ist. Ich habe nie bei Elinor gelegen.«
Ich schob mich hoch und starrte ihn an. Seine grauen Augen betrachteten mich, undurchschaubar wie Rauchglas. Ich packte einen Bettzipfel, um me i ne Nacktheit zu bedecken. Mit einem leichten L ä cheln griff er hinauf, zog das Tuch wieder weg und ließ seine Fingerspitzen über meine nackte Haut wandern.
Ich ergriff seine Hand und hielt sie fest. »Wie kannst du so etwas sagen? Du – ihr wart drei Jahre verheiratet. Ihr habt einander geliebt …«
»Ja, geliebt habe ich Elinor«, sagte er leise. »Und deshalb bin ich nie bei ihr gelegen.« Er seufzte laut. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Die ganze Zeit, die ich in ihrer Nähe verbracht hatte, hatte ich keine einzige Berührung zwischen ihnen gesehen.
Ich ließ seine Hand fallen und packte erneut das Tuch, um mich zu bedecken. Er hatte sich kaum b e wegt, sondern lag n och immer so entspannt auf dem Lager, als hätte er über die selbstverständlichste S a che der Welt gesprochen. Nun redete er in einem Tonfall, mit dem man einem Kind etwas erklärt. »Anna, versteh doch: Elinor hatte Bedürfnisse, die das Körperliche weit überstiegen. Elinor hatte eine verstörte Seele. Sie bedurfte der Sühne, und ich musste ihr helfen. Als Mädchen hatte Elinor eine große Sünde begangen, von der du nichts wissen konntest …«
»Aber ich weiß davon«, warf ich ein. »Sie hat es mir erzählt.«
»Tatsächlich?«, sagte er. Jetzt drehte er sich zu mir und sah mich stirnrunzelnd an. Seine grauen Augen verdunkelten sich. »Offensichtlich gab es mehr zw i schen euch beiden – mehr, als mir gewahr war. Mehr, sollte ich sagen, als vielleicht passend war.«
Er, der nackt auf meinem Bett liegt, befindet sich wohl kaum in der Lage zu beurteilen, ob meine Freundschaft mit seiner Frau passend gewesen war, schoss es mir flüchtig durch den Kopf. Aber ich war innerlich viel zu aufgewühlt, um diesem Gedanken länger nachzuhängen.
»Elinor hat mir von ihrer Sünde erzählt. Aber sie hat doch bereut. Sicher …«
»Anna. Zwischen Reue und Sühne ist ein großer Unterschied.« Endlich setzte er sich auf und lehnte sich rücklings gegen die raue Holzwand. Jetzt saßen wir uns auf dem Lager gegenüber. Ich hatte die Be i ne untergeschlagen und das Tuch ganz um meinen Körper gezogen. Ich zitterte.
Er hob seine großen Hände und legte sie wie Waagschalen offen vor sich hin. »Elinors Lust hat ihrem ungeborenen Kind
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