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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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Treppe hinunterstolperte, zerrte ich mir meinen Kittel über den Kopf. Ich hatte nur einen Gedanken: fort.
    Ich taumelte Richtung Kirchhof. Ich wollte Elinor haben, wollte sie halten und streicheln und ihr sagen, es täte mir Leid, dass er sie so benutzt hatte. Meine wunderschöne Freundin, eine Frau zur Liebe g e schaffen. Bei ihm zu liegen war mein Weg gewesen, sie mir näher zu bringen. Ich hatte versucht, wie sie zu werden, auf jede erdenkliche Art und Weise. Aber anstatt mir durch seinen Körper Vergnügen zu bere i ten, hatte ich sie bestohlen – um das, was rechtm ä ßig ihr gehört hätte: um ihre Hochzeitsnacht. Ich ging zu ihrem Grabstein und legte mich der Länge nach da r auf. Als meine Finger die Stelle fanden, wo der u n geübte Steinmetz ihre Inschrift verpatzt hatte, brach diese winzige Demütigung den Damm vor meiner Trauer. Mein Körper wurde von Schluchzen geschü t telt, bis der Stein tränen-nass war.
    Dort lag ich also, hingestreckt auf ihrem Gra b stein, als ich ihn nach mir rufen hörte. Ich wollte ihn nicht sehen. Plötzlich widerte mich der ganze Mensch an: jenes Gesicht, das mich so bewegt hatte, jener Körper, den ich begehrt hatte. Ich glitt vom Stein in die Hocke und stahl mich auf allen vieren zum Riesenkreuz hinüber, hinter dessen massiver Form ich mich vielleicht verstecken konnte. Wie g e wohnt lehnte ich mich dagegen, aber die Steinme t zarbeiten fühlten sich unter meinen Händen nicht mehr lebendig an. Auch der Gedanke, sein Schöpfer hätte mir e twas zu sagen, kam mir nicht mehr. Auf dem Kirchhofweg konnte ich Stiefel knirschen h ö ren. Ich rannte über die Grasklumpen auf die Ki r chentüre zu. Seit jenem Märzsonntag, als sie der Pfarrer für uns alle geschlossen hatte, war ich nicht mehr drin gewesen. Ich ließ meine Hand auf der Türe ruhen. Nach dem feuchtkalten Stein fühlte sich das Holz warm an. Ich drückte dagegen, und sie ging auf. Verstohlen glitt ich hinein und zog sie leise hinter mir zu. Heftiges Flügelschlagen verriet, dass sich in der Glockenstube Tauben eingenistet hatten. Warum auch nicht? Niemand läutete mehr die Glocken. Nichts würde ihren Schlaf stören.
    Drinnen roch es nach abgestandener Luft. Auf den Messingleuchtern neben dem Altar blühten grüne Blumen. Während sich die Tauben unter Gurren wieder beruhigten, machte sich erneut Stille breit. Ich glitt nach vorne, wobei ich aus Gewohnheit leise auftrat. Meine Hände strichen über das alte steinerne Taufbecken. Ich musste an die beiden Freudentage denken, als ich die Babys morgens zur Taufe herg e bracht hatte. Sam hatte sich ganz fest abgerubbelt und deshalb ungewohnt von Kopf bis Fuß geglänzt. Man hätte meinen können, gleich würde sein Gesicht platzen, so hatte er über beide Backen gestrahlt.
    Einfacher Sam. Manchmal hatte ich mich für die Gefühle geschämt, die ihm ganz offen ins Gesicht geschrieben standen: das unfeine Lachen über kind i sche Vergnügungen, die derbe Art, wie er an meinem Körper herumfummelte und seine Lust im Bett gru n zend kundtat. Wie hatte ich da Elinor beneidet! Um das zartfühlende Benehmen ihres Mannes, um seinen subtilen Geist. Wie konnte ich nur so wenig begri f fen haben? Andererseits, wie sollte irgendjemand so etwas begreifen: dass sich unter der Maske sanfter Zurückhaltung eine höchst unnatürliche Kälte verbarg; dass sich subtile Gedanken pervers verdreht hatten.
    Wachsgeruch, feuchtes Gemäuer, leere Kirche n bänke. Ich s tellte mir die Gesichter vor, die sie g e füllt hatten. Hier waren wir gesessen und hatten ihm gelauscht und an ihn geglaubt, genau wie einst auch Elinor. Im Vertrauen darauf, dass er uns sagte, was richtig sei und was falsch. Jetzt waren drei Viertel dieser Gesichter nicht mehr – begraben draußen in der Erde oder am Dorfrand in flachen Gruben ve r scharrt. Ich stand da und zwang mich zu einem Gebet für sie, aber da kam keines. Ich versuchte es mit den alten auswendig gelernten Wörtern. Entgegen meiner Absicht tönten sie ganz laut und doch bedeutungslos, wie Kieselsteine, die in einen Brunnen fallen. »Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde …«
    »Wirklich, Anna? Glaubst du noch immer an Gott?«
    Die Stimme kam aus der Bradfordschen Kirche n bank. Elizabeth Bradford erhob sich von dem Platz, wo sie gekniet hatte. Wegen der hohen eichenen R ü ckenlehne hatte ich sie nicht gesehen. »Meine Mutter tut es. Sie glaubt an den Gott des Zornes und der R a che, der den Stolz des Pharao

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