Das Pesttuch
müssen wir annehmen, daran glaube ich. Es ist eine Schatulle voller Gold! Tauchen wir die Hände bis zum Ellb o gen hinein, und tragen wir diesen Schatz fort!«
Daraufhin senkte er die Stimme, als wollte er uns in ein großes Geheimnis einweihen. »Einige möchten sagen, dass Gott uns dies nicht aus Liebe schickt, sondern aus Zorn. Sie werden sagen, die Pest sei hier, weil wir sie mit unseren Sünden verdient hätten. Denn ist nicht die erste Pest in der langen Geschichte der Menschheit jene, die Gott geschickt hat, um die Ägypter zu schlagen? War es nicht Pharao, der Gott den Gehorsam verweigerte, und wurde nicht deshalb sein ganzes mächtiges Königreich zunichte gemacht? Und wenn man uns im Dunkel der Nacht unseren Erstgeborenen entreißt«, hier hielt er inne. Sein Blick wanderte über die vielen Sitzreihen zwischen uns, bis mich seine strahlend-glänzenden Augen direkt a n schauten, »in solchen Zeiten fällt es leichter, an Go t tes Rache zu glauben als an Seine Gnade.
Und doch glaube ich nicht, dass Gott uns diese Pest im Zorn geschickt hat. Ich glaube nicht, dass Er uns hier in diesem Dorf als Pharao sieht. O ja, sicher haben wir im Laufe unseres Lebens gesündigt, jeder von uns, viele Male. Lockt uns denn nicht Satan mit verführerischem Pomp, um uns von dem Gott uns e rer Erlösung abzulenken? Freunde, wir alle haben diesen Melodien gelauscht, ein jeder zu seiner Zeit. Hier ist keiner, der ihnen noch nicht gefolgt ist und dabei stürzte. Keiner, dem nicht verwerfliche Tru g bilder den Sinn verwirrt haben.
Und doch glaube ich nicht, dass unser Gott diese Pest zur Strafe für unsere Sünden schickt. Nein!« Auf der Suche nach den Bergleuten und ihren Fam i lien wanderten seine Augen über die Gemeinde. »Wie das Erz, das gänzlich eingeschmolzen werden muss, um reines Metall zu finden, so müssen wir dem Feuerofen dieser Seuche übergeben werden. Und wie der Schmied seine Esse nötigenfalls die ganze Nacht lang schürt, um das wertvolle Erz darin auszuschmelzen, so befindet sich Gott hier in unserer Nähe, näher vielleicht, als Er unser aller Leben je gekommen ist oder je kommen wird.« Fünf Reihen vor mir sah ich, wie sich der weiße Kopf von Alun Houghton, Bergmeister unserer Knappen, langsam auf den massigen Schultern aufrichtete, als ihm al l mählich die Worte des Herrn Pfarrers aufgingen. Der Pfarrer nahm die günstige Gelegenheit wahr und streckte die Hand in seine Richtung. »Deshalb lasst uns nicht zaudern, lasst uns nicht zagen! Wählen wir nicht den matten Glanz unseres Urzustandes, wenn Gott uns erstrahlen lassen möchte!«
»Amen!«, polterte Houghtons tiefe und raue Stimme. Vereinzelt stimmten andere Bergleute mit einem »Amen!« ein.
Darauf wandte der Herr Pfarrer seine Blicke dor t hin, wo die Hancocks, die Merrills, die Highfields und die anderen Bauernfamilien saßen. »Meine Freunde, jener Pflug, der sich heute tief in eure Fu r chen gräbt, tat dies nicht immer. Ihr wisst, wie viele Rücken gebrochen wurden, um diesen Boden von Wurzeln und hartnäckigen Baumstümpfen zu befre i en. Ihr wisst, dass Hände beim Schleppen jener Ste i ne, die inzwischen als wohl geordnete Mauern unser bearbeitetes Land von der Wildnis abgrenzen, gebl u tet haben. Ohne Mühsal gibt es keine gute Ernte, und auch nicht ohne Kampf und Plage und Verlust. Jeder von euch h at schon geweint, wenn Dürre oder Pest i lenz die Feldfrüchte verheerten. Hat unter Tränen getan, was er tun musste, und jede Pflanze unterg e pflügt, damit sich der Boden in der Hoffnung auf e i ne künftige bessere Jahreszeit erneuern konnte. We i net jetzt, meine Freunde, aber hoffet auch! Denn di e ser Pes t zeit wird ein besseres Jahr folgen, wenn wir nur da r auf vertrauen, dass Gott Seine Wunder tut!«
Dann senkte er den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die Augenbrauen. In der Kirche war es totenstill. Wir alle blickten wie gebannt auf den gr o ßen Mann, der dort mit gebeugtem Kopf auf der Kanzel stand, als sammle er die Kraft zum Weite r sprechen.
»Freunde«, sagte er schließlich, »einige von uns haben die Möglichkeit zur Flucht. Andere haben Verwandte in der Nähe, die uns gerne Zuflucht g ä ben. Wieder andere haben Verbindungen, auf die sie zurückgreifen könnten. Einige wenige von uns haben die Mittel, um sich weit weg von hier zu begeben – frei nach unserer Wahl.«
Meine Konzentration wurde unterbrochen, als die Bradfords in der allerersten Reihe unruhig wurden. »Wie aber würden wir die Güte derer
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