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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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von uns in ihren Fluten mit. Bis es darum ging, wie und mit wem wir beteten.
    Mister Stanley war ein aufrichtiger Mensch und für einen Puritaner ungewöhnlich sanft. Trotzdem war sein Sonntag ein strenger Sabbat und seine Ki r che ein freudloser Ort gewesen, ohne Spitze oder p o liertes Messing. Sogar mit der Schönheit der Gebete wurde gegeizt. Nicht lange nach seinem Protest wu r de ein Gesetz erlassen, nach dem Geistliche, die sich weigern, die Staatskirche anzuerkennen, mindestens fünf Meilen Abstand zu ihren alten Gemeinden ei n halten mussten, damit Meinungsverschiedenheiten gar nicht erst aufkommen konnten. Ein anderes G e setz setzte für alle Versammlungen von mehr als fünf Personen, die nach einer anderen als im gemeins a men Gebetbuch festgelegten Gottesdienstordnung abgehalten wurden, schwere Strafen fest. Geldbußen, Gefängnis, ja sogar Deportation. Daher zog Thomas Stanley aus dem Pfarrhaus aus und verließ das Dorf. Bis die Mompellions kamen, hatten wir beinahe zwei Jahre keinen Priester am Ort. Mittlerweile war Th o mas Stanleys Frau gestorben, sodass er allein zw i schen Fremden zurückblieb. Es widersprach dem Wesen der Mompellions, den alten Vikar von jenem Ort und den Leuten fern zu halten, die ihm am ve r trautesten waren. Keine Ahnung, was gesprochen oder vereinbart wurde, aber eines Tages weilte er wieder unter uns. Ohne Aufhebens war er auf ein kleines Pachtgrundstück auf dem Berghof der Bi l lings zurückgekehrt. Als die Pest zu uns kam, war er schon fast ein Jahr wieder hier, ein alter Mann, der ganz zurückgezogen lebte und sich nicht um die Dorfbelange kümmerte. Und wenn sich von Zeit zu Zeit zwei - oder dreimal fünf Leute in der guten St u be der Billings versammelten, hatte keiner von uns das Bedürfnis, nach dem Grund dafür zu fragen.
    Aber nun hatte Mister Mompellion offensichtlich bewusst Mister Stanley aufgesucht. Den Grund dafür sollte ich erst am Sonntag herausfinden. Mister Mompell i on stieg die Kanzelstufen hinauf, doch statt des Stir n runzelns , das er die ganze Woche gezeigt hatte, wir k te er an diesem Morgen heiter. Und so hob er mit einer Predigt an, die unser Schicksal besiege l te. Aber erst als die Hälfte schon vorbei war, dä m merte uns allen, worauf er hinauswollte.
    » › Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lasset für seine Freunde. ‹ « Nach diesen vertrauten Worten senkte er den Kopf und ließ die Textstelle so lange in der Stille hängen, dass ich schon befürchtete, er habe vergessen, was er als Nächstes sagen wollte. Aber als er aufblickte, strah l te er dermaßen übers ganze Gesicht, dass es plötzlich wärmer in der Kirche wurde. Dann strömten seine Worte wie ein Gedicht dahin. Leidenschaftlich sprach er über die Liebe Gottes und das Leid, das Sein Sohn unseretwillen erduldet hatte. Sein Blick hielt jeden Einzelnen von uns fest und ließ uns die Macht dieser Liebe spüren und erinnerte uns daran, wie sie jedem von uns noch heute zuteil geworden ist. Er berauschte uns mit seinen Worten, riss uns in eine nie gekannte Ekstase und führte einen jeden an den Ort, wo wir unsere schönsten Erinnerungen hüt e ten.
    Dann kam er endlich zum Kernpunkt. Wären wir nicht verpflichtet, diese Liebe zu unseren Mitme n schen zu erwidern? Sogar um den Preis des eigenen Lebens, wenn Gott dies von uns forderte? Bis hierher hatte er die Pest mit keinem Wort erwähnt. Erstaunt bemerkte ich, dass ich, die seit vielen Wochen keinen anderen Gedanken gehegt hatte, die ganze halbe Stunde seiner Predigt nicht einmal daran gedacht ha t te.
    »Liebe Brüder und Schwestern«, sagte er nun. »Wir wissen, dass Gott manchmal mit Schrecken s stimme zu Seinem Volk gesprochen und ihm scha u erliche Plagen geschickt hat. Und von diesen Plagen ist die Pest, dieses Gift im Blut, eine der schrec k lichsten. Wer fürchtet sie nicht? Ihre Beulen, ihre Geschwüre, ihre riesigen Furunkel. Und den grimm i gen Tod, den König der Schrecken, der auf ihren Fersen einhergeht.
    Und doch hat Gott in Seiner unendlichen und u n fassbaren Weisheit uns zu Empfängern dieser Pest auserkoren, uns allein unter all den Dörfern unseres Bezirks. Dies ist für uns eine Prüfung, davon bin ich überzeugt. Wegen Seiner großen Liebe zu uns schenkt Er uns eine Möglichkeit wie nur wenigen auf dieser Erde. Hier können wir, wir arme Seelen dieses Dorfes, es Unserem Herrn und Heiland gleichtun. Wer unter uns möchte eine solche Gelegenheit au s schlagen? Liebe Freunde, dieses Geschenk

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