Das Pesttuch
Freunde. Denn eines verspreche ich euch: Solange ich verschont bleibe, wird keiner in diesem Dorf dem Tod allein ins Antlitz schauen.«
Dann ermahnte er uns zum Nachdenken und zum Gebet und sagte, dass er uns in Kürze um unsere Entscheidung bitten w ürde. Er stieg von der Kanzel und begab sich mit Elinor an seiner Seite unter uns und unterhielt sich leise mit jedem, der ein Wort mit ihm wechseln wollte. Einige Familien blieben in i h ren Bänken, mit g e senkten Häuptern im Gebet versunken. Andere sta n den auf und gingen rastlos umher, sammelten sich hier und dort in Grüppchen und suchten Rat bei Freunden und Nahestehenden. Erst jetzt bemerkte ich, dass Thomas Stanley die Kirche betreten und einen Platz in der allerersten Reihe eingenommen hatte. Nun trat er nach vorne und sprach leise mit allen, die zur Lehre der Purit a ner geneigt hatten oder es insgeheim immer noch t a ten und vielleicht Mühe hatten, Mister Mompellion zu vertrauen. Auf seine ruhige Art machte der alte Mann klar, dass der Jüngere seine Unterstützung ha t te.
Manchmal ließ sich unter dem gedämpften Mu r meln eine erregte Stimme vernehmen. Zu meiner B e schämung sah ich, dass mein Vater und Aphra zu einer kleinen Gruppe gehörten, die mit Gesten und Kopfschütteln klarmachten, dass sie nicht mit dem Plan des Herrn Pfarrers einverstanden waren. Auf diese Zauderer trat Mister Mompellion zu, und bi n nen kurzem stieß auch Mister Stanley zu ihnen. Mein Vater hatte sich mit seiner Frau ein wenig entfernt. Ich versuchte, ihr Gespräch zu belauschen, und ging deshalb etwas näher heran.
»Denk an unser Brot, Mann! Wer wird uns zu e s sen geben, wenn wir auf die Straße flüchten? Höchstwahrscheinlich werden wir dort verhungern. Hier, sagt er, bekommen wir es sicher.«
»Jaja, › sagt er ‹ . Nun, ich sage, dass man von › sagt er ‹ nicht herunterbeißen kann. Schöne Worte geben ein sauschlechtes Essen. O ja, er und seine vornehme Frau werden schon ihr Brot von seinem Freund, dem Grafen, bekommen, da bin ich mir s i cher. Aber wann haben sich schon solche wie die auch nur ‘nen Penny um unsereins geschert?«
»Mann, wo bleibt dein Grips? Die werden ihr Wort nicht aus Liebe zu uns halten, sondern aus Angst um ihre eigene feine Haut. Eines steht fest: Der Graf will seinen Besitz pestfrei haben. Und wie ginge das besser, als wenn er uns einen Grund zum Hier bleiben gibt? Täglich ein paar lumpige Laib Brot sind für den ein gutes G e schäft, darauf wette ich.« Sie war eine schlaue Frau, meine Stiefmutter, trotz ihrer Neigung zum Abe r glauben.
Dann sah sie mich und wollte mich schon zur U n terstützung ihrer Ansichten herüberwinken, aber ich wandte den Kopf ab. Ich wollte einzig und allein für meine eigene Entscheidung die Verantwortung tr a gen.
Als die Mompellions dort vorbeikamen, wo ich stand, ergriff Elinor Mompellion mit beiden Händen zärtlich meine, während sich der Herr Pfarrer an mich wandte und sagte: »Und du, Anna?« Sein Blick ging mir so durch und durch, dass ich wegschauen musste. »Sag uns, dass du bei uns bleibst, denn ohne dich war’s um Mistress Mompellion und mich schlecht bestellt.« In mir herrschte keinerlei Verwi r rung, da ich meine Entscheidung getroffen hatte. Und doch wollte mir meine Stimme zu einer Antwort nicht gehorchen. Auf mein Nicken hin umarmte mich Elinor Mompellion und drückte mich einen langen Augenblick an sich. Der Herr Pfarrer ging weiter und flüsterte ruhig Mary Hadfield zu, die ganz kläglich weinte und die Hände rang. Als er erneut die Stufen hinaufschritt und uns Auge in Auge gegenüberstand, hatten er und Thomas Stanley jeden Zweifler übe r zeugen können.
An jenem Tag legten wir alle in dieser Kirche vor Gott einen heiligen Eid ab, dass wir bleiben und nicht fliehen würden, egal, was uns bevorstünde. Wir alle, bis auf die Bradfords. Sie waren unbemerkt zur Kirche hinausgeschlüpft und längst wieder zurück im Herrenhaus, wo sie für ihre Flucht nach Oxfordshire packten.
Weiter grüner Kerker
An jenem Morgen verließ ich die Kirche mit e i nem seltsamen Glücksgefühl, und offensichtlich ging es allen so. Die ursprünglich abgezehrten und verhär m ten Gesichter wirkten nun warm und lebendig. Wenn sich unsere Blicke trafen, lächelten wir im Bewuss t sein der umfassenden Gnade, die unsere Entsche i dung ausgelöst hatte. Deshalb war ich nicht auf Maggie Cantwell vorbereitet, die mit verstörter Mi e ne vor meinem Tor auf und ab lief. Maggie war K ö chin bei
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