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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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Viertelstunde schlagen hörte und dann die halbe Stunde, ohne dass inzwischen ein Atemzug zu ve r nehmen gewesen wäre, rief ich endlich die Mompe l lions, damit sie Mems Hinscheiden bestätigten. Sie starb nur fünf Tage nach Anys. Mit diesen beiden ging der Großteil an Heilkunde, auf die wir angewi e sen waren, verloren.
    Die zuständige Gerichtsbarkeit unternahm nichts wegen dieser Morde: Der Friedensrichter aus Blak e well weigerte sich, auch nur in die Nähe unseres Dorfes zu kommen oder irgendwelche unserer Leute als Gefangene zu holen. Er meinte, im ganzen Bezirk würde sich niemand bereit erklären, sie bis zu den nächsten Gerichtstagen zu verwahren. Stattdessen schlichen die wenigen aus der Meute, die die Pest nicht dahingerafft hatte, wie hohlwangige Spukge s talten herum und warteten auf Gottes Richtspruch. Am nächsten Sonntag waren l e diglich fünf von dem Dutzend, das in jener Nacht in der Klamm gewesen war, noch so gut bei Kräften, dass sie Büßerhemden anlegen und barfuß zur Kirche gehen konnten, um um Vergebung zu beten.
    Als der Sonntagmorgen weiß und windstill he r aufdämmerte, stapften wir alle durch den verkrust e ten Schnee, der unter unseren Füßen knirschte. John Gordon war einer von denen, die sich in den Büße r winkel stahlen. Er schaute niemandem in die Augen, beugte sich nur besorgt über Urith, die sich an seinen Arm klammerte. Die weiße Farbe ihres Büßerhemds unterstrich noch die blauroten Flecken rings um ihre geschwollene und gebrochene Nase. Auch Lib Ha n cock war dort. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, ging sie an mir vorbei, während ich in meiner Ki r chenbank stand.
    Blass und schweigend nahmen wir unsere festg e setzten Plätze ein. Dieses Dorf zählt an die dreihu n dertsechzig Seelen. Ohne die Kleinkinder, die g e brechlichen Alten, die wenigen, die sogar am Tag des Herrn arbeiten müssen, und jene Hand voll Qu ä ker und Nonkonformisten, die droben in den Berghöfen leben, beträgt die Anzahl der Gotte s dienstbesucher, die sich jede Woche in unserer Ki r che versammeln, gut zweihundertzwanzig. Da unsere Sitzplätze schon seit alters her festliegen, wirkt jede Abwesenheit wie eine Zahnlücke. An jenem Sonntag sorgte die ständig wachsende Zahl von Toten und Kranken für viele leere Sitzplätze.
    Michael Mompellion verwendete seine Kanzel an jenem Sonntag ganz anders, als ich erwartet hatte. Während des Begräbnisses für Anys und später, als er eine ganze Woche lang beinahe stündlich nach Mem sah, hielt er die Lippen zusammengepresst und wirkte ang e spannt wie eine Bogensehne, als könnte er nur mit äußerster Mühe einen entsetzlichen Zorn im Zaum halten. Den Großteil der Woche hatte er nicht, wie üblich, mit Elinor zu Abend gegessen, sondern stattdessen allein in seiner Bibliothek gea r beitet. Ich dachte, er arbeite an einer Predigt. Als ich mich kurz vor dem Wochenende eines Abends unter einer L a dung Heu für die Schafe abmühte, entdeckte ich ihn, wie er neben einer gebeugten Gestalt durch den Obstgarten spazierte. Es war bitterkalt. Die Schne e wolken waren verweht, die Sterne schienen sich im eisigen Glitzern der weiß verkrusteten Felder zu spiegeln. Seltsam, dass der Herr Pfarrer eine so l che Nacht für ein Gespräch im Freien auswählte. Aber dann erkannte ich die Gestalt an seiner Seite und begriff, warum er ein solches Treffen geheim halten wollte.
    Michael Mompellion beriet sich mit Thomas Sta n ley, jenem Puritaner, der vor über drei Jahren am Bartholomäustag im Jahre unseres Herrn 1662 unsere Gemeinde verlassen hatte. Damals hatte uns Pastor Stanley erklärt, er könne nicht guten Gewissens der Anweisung folgen, das Buch für das gemeinsame Gebet zu verwenden. Außerdem sei er nur einer von Hunderten Priestern, die an jenem Tag ihr Predig e ramt niederlegten. Es hatte uns befremdet, dass unser kleines Dorf urplötzlich zwischen die hochpolit i schen Entscheidungen von König und Parlament g e riet. Vielleicht erscheint es merkwürdig, dass eine wie ich, die im Schatten großer Ereignisse wie der Hinrichtung eines Königs sowie Exil und Rückkehr eines zweiten aufgewachsen war, dennoch so wenig von ihren eigenen Zeitläufen wusste. Aber unser Dorf lag weitab von jeder wichtigen Straße oder e i nes bedeutenden Knotenpunktes, und unsere Männer waren für den Abbau von Blei wichtiger als fürs A b feuern desselben. Daher schwappten all diese großen Ereignisse nur noch sehr abgeschwächt an den Fuß unseres Berges und rissen nie einen

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