Das Pesttuch
mitgegeben, wie er sie an alle Dörfer in der nächsten Umgebung geschrieben hatte. Denn alle sollten so rasch wie möglich ganz genau erfahren, wie wir we i termachen wollten. Aber das war auch schon fast a l les, was sie mitnahmen. Nachdem sich Maggie in aller Eile ihre Truhe gesichert hatte, beschloss sie nun, sie doch hier zu lassen. Am Ende würden noch ihre Verwandten in Bakewell darin verborgene Pes t saaten befürchten. Maggie und Brand gingen zu Fuß fort, die untersetzte Frau am Arm des mageren Ju n gen. Als sie sich am Grenzstein winkend umdrehten, haben vermutlich nicht wenige im Dorf sie beneidet.
Und so machte sich der Rest von uns daran, das Leben im frei gewählten, weiten, grünen Kerker zu erlernen. In jener Woche wurde es wieder wärmer, und der Schnee schmolz zu einem klebrigen Brei. Normalerweise hätte ein solches Tauwetter kräftiges Hufegetrappel auf die Straßen gebracht, wenn Fuh r leute, die der Schnee aufgehalten hatte, verspätete Lieferungen nachholten und sich Reisende auf den Weg machten. Aber diesmal brachte das Tauwetter kein solch geschäftiges Treiben mit sich. Allmählich wurden uns die Folgen unseres Eides immer klarer.
Es ist schwer zu sagen, warum mich dieser Eid so belastete, da ich mich höchstens ein halbes Dutzend Mal im Jahr über jene Grenzen hinauswagte, auf die wir uns inzwischen beschränkt hatten. Und doch e r tappte ich mich an jenem Montagmorgen dabei, wie ich Richtung Grenzstein spazierte, der am Rande e i ner Hochwiese lag, genau an jenem Punkt, wo ein vorspringendes Landstück plötzlich bis zum Dorf Stoney Middleton hügelab fiel. Vom vielen Begehen war der schmale Weg dort tief ausgetreten. Als Ki n der waren wir am liebsten da hinuntergerannt, wobei wir oft ins Stolpern gerieten und drunten als schlammbeschmiertes Knäuel ankamen. Gar viele Male hatte ich den langen, schwierigen Aufstieg in dem Bewusstsein zurückgelegt, dass mir wegen me i nes fleckigen und zerknitterten Kittels eine Tracht Prügel drohte.
Jetzt stand ich einfach da und betrachtete seh n süchtig den verbotenen Pfad. Der Sturm hatte die Buchen ihrer rötlichen Blätter und die Birken ihrer gelb gefleckten beraubt. Da lagen sie nun, glitschig vom geschmolzenen Schnee, in hohen Haufen am Wegesrand und moderten vor sich hin. Am Stein war der Steinmetz Martin Milne bei der Arbeit und boh r te Löcher für unsere seltsame neue Art des Ware n austausches hinein. Es war ein stiller Morgen. Laut fiel der Vorschlaghammer auf den Meißel, s o dass es den ganzen Weg bis zum Dorf zurück wie eine Gl o cke hallte. Angelockt durch dieses Geräusch kamen mehrere Leute herbei, um der Arbeit zuz u schauen. Weit drunten im Tal konnten wir den wa r tenden Fuhrmann sehen, dessen Maultier mit gesenktem Kopf graste. Offensichtlich hatten die Briefe des Herrn Pfarrers ihr Ziel erreicht, denn der Fuhrmann würde erst auf das verabredete Signal hin näher kommen. Auch Mister Mompellion war da und gab Martin Milne Anweisungen. Als ihm die Löcher g e nügend tief erschienen, füllte er jedes mit Essig und legte die Münzen hinein. Die erste Lieferung bestand aus den üblichen Dingen: Mehl und Salz und ähnl i che Grundnahrungsmittel. Bei der nächsten würden Sachen hinzukommen, die der Herr Pfarrer nach den Wünschen von Dorfbewohnern auf eine Liste g e schrieben hatte, die neben dem Stein hinterlegt wu r de. Dazu kam noch eine besondere Liste mit den Namen der Verstorbenen. Denn in den umliegenden Dörfern wohnten viele Freunde und Verwandte, die unbedingt wissen wollten, wie es uns erging. Auf der Liste jenes ersten Tages standen drei Namen: die Gastwirtstochter Martha Bandy sowie die Geschwi s ter Jude und Faith Hamilton, die letzten Folterer der Gowdies, die neben ihnen in die Erde gelegt wurden.
Als alles fertig war, winkte Mister Mompellion zum Fuhrmann hinunter. Dann zogen wir uns alle in sichere Entfernung zurück, während der Mann sein Lasttier den Abhang hinaufführte. Er entlud es so rasch wie möglich, nahm das Geld und die Listen und winkte dann zu uns zurück. »Unsere Gebete und unser Segen seien mit euch allen!«, schrie er. »Gott vergelte euch eure Güte!« Damit lenkte er das Mau l tier wieder Richtung Abhang und stieg hinauf. Wir standen da und schauten zu, wie sich das Tier vo r sichtig den Pfad en t langbewegte, bis zu der Stelle, wo der Vorsprung plötzlich abbrach. Immer leiser klirrte das Geschirr, bis sie die Stelle erreichten, wo der Weg flach au s läuft. Dort beschleunigten beide
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