Das Pesttuch
Trost.«
Da ihnen keine andere Wahl bleibt. Ich spürte, wie ich aus der Höhe taumelte, auf die mich Mister Mompellions Predigt heute Morgen gehoben hatte. Welche Wahl hatten wir letztlich? Wenn meine Ki n der noch gelebt hätten, hätte es vielleicht etwas zu entscheiden gegeben. Vielleicht hätte ich mich g e zwungen gefühlt, über eine Flucht mit ungewissem Ziel nachzudenken. Und doch zweifelte ich daran. Wie hatte Aphra zu meinem Vater gesagt? Es ist nicht leicht, ein sicheres Dach über dem Kopf und die Aussicht auf Brot gegen die Gefahren auf offener Straße einzutauschen, zumal wenn der Winter ei n setzt und man an seinem Ende kein klares Ziel sieht. Die Bewohner in dieser Gegend mögen Landstre i cher zu keiner Jahreszeit und jagen sie rasch wieder fort. Wie viel weniger würde man uns willkommen heißen, wenn sich erst mal herumspräche, woher wir kamen? Die Flucht vor der einen Gefahr hätte meine Kinder noch viel größeren ausgesetzt. Aber da meine beiden Buben auf dem Kirchhof lagen, hatte ich gar keinen Grund zum Fortgehen mehr. Die Pest hatte mir bereits das Wichtigste geraubt, was ich zu verli e ren hatte. Jetzt begriff ich auch, dass mein Schwur zu bleiben, eigentlich kaum der Rede wert war. Ich würde bleiben, weil ich nur noch wenig Überle ben s willen hatte und außerdem keinen Platz, wohin ich gehen sollte.
Der Oberst hatte sich vom Pfarrer abgewandt und schaute wieder in seine Bibliothek, wo sein Blick mit gespieltem Desinteresse über seine Bücherregale wanderte, während er weitersprach: »Hingegen habe ich, wie Sie schon so scharfsinnig angemerkt haben, tatsächlich eine Wahl. Und obendrein die Absicht, sie zu nutzen. Würden Sie mich nun entschuldigen? Sie werden verstehen, dass ich noch zahlreiche and e re Entscheidungen treffen muss, zum Beispiel, ob ich den Dryden einpacken soll oder den Milton. Vie l leicht den Milton? Dryden hat ehrgeizige Themen, aber seine Verse werden doch immer langweiliger, finden Sie nicht auch?«
»Oberst Bradford!«, donnerte Mompellions Sti m me durchs Herrenhaus. »Genießen Sie Ihre Bücher! Und zwar jetzt! Denn ein Totenhemd hat keine T a schen! Vielleicht ist Ihnen das Urteil dieses Dorfes egal, aber wenn Sie schon diese Menschen nicht schätzen, so gibt es doch einen, der es tut. Er liebt sie über alle Maßen. Und seien Sie versichert: Er ist es, dem Sie Rede und Antwort werden stehen müssen. Ich nehme das Jüngste Gericht Gottes nicht leichtfe r tig in den Mund, aber über Sie sage ich, dass sich die Kelche Seines Zornes auftun und schreckliche Rache daraus ergießen wird! Fürchten Sie sie, Oberst Bra d ford! Fürchten Sie eine weit schlimmere Strafe als die Pest!«
Daraufhin drehte er sich um, stürmte zurück in den Hof, sprang auf Anteros und galoppierte davon.
Auf den Straßen gab es kein Gezischel, als die Bra d fordsche Kutsche zum Dorf hinausfuhr. Die Männer zogen ihre Mützen, und die Frauen knick s ten, wie wir es immer getan hatten, aus dem einfachen Gru n de, weil wir genau das immer so gemacht hatten. Mit Ausnahme des Kutschers, der nach dem Eintreffen in Oxford entlassen werden sollte, hatten die Bradfords keinen einzigen ihrer Bediensteten behalten. Ja, Oberst Bradford hatte sogar noch am selben Morgen zwei von den Hancock-Söhnen, die noch nie für ihn gea r beitet hatten, zur Bewachung des verrammelten und verriegelten Herrenhauses g e dungen. Als Grund d a für hatte er ihnen mitgeteilt, er traue keinem seiner Leute, die keine Zufluchtsstätte hatten, neben der Bradfordschen Kutsche auf die Knie fielen, die Sä u me der Reisemäntel der Damen ergriffen und dem Oberst die Stiefelspitzen küssten. Anscheinend w a ren Mistress Bradford und ihre Tochter im Fall ihrer Zofen aber zum Einlenken b e reit und wollten vom Oberst wissen, ob diese zwei, drei Frauen nicht doch in den Ställen oder im Bru n nenhaus unterschlüpfen könnten, aber Oberst Bra d ford verweigerte ihnen selbst das.
Und so geschah es wie üblich: Wer am meisten hat, gibt am wenigsten, während die mit dem wen i gen bereit sind zu teilen. Bei Anbruch der Nacht w a ren alle Bradfordschen Bediensteten bei der einen oder anderen Familie im Dorf untergekommen. Mit einer Ausnahme: Maggie und Brand, der Küche n junge. Beide kamen aus Bakewell. Da sie an den von uns inzwischen so genannten Sonntagseid nicht g e bunden waren, beschlossen sie, dorthin weiterzure i sen und zu sehen, ob ihre Blutsverwandten sie au f nähmen. Der Herr Pfarrer hat ihnen Begleitbriefe
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