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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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übernahm. Wä h rend wir in dem kleinen Zimmer auf und ab gingen, begann Mistress Mompellion dazu im Takt ein Lied in einer mir unbekannten Sprache zu singen. »Das kommt aus Cornwall«, meinte sie. »Meine Amme stammt dorther. Sie hat es mir als Kind immer vorg e sungen.«
    Die Zeit verging, eine Stunde, vielleicht auch zwei oder drei. In jenem dämmrigen Raum spürte man weder den hellen Morgen noch den Mittag, der sac h te in den Nachmittag hinüberglitt. Der Lauf der Zeit wurde einzig und allein durch Marys immer heftiger werdende Wehen und jenen Abstand bestimmt, der zwischen den Schmerzen lag. Als sie schließlich e r schöpft auf die Pritsche sackte, wartete ich, bis eine Wehe abklang.
    Kaum war es so weit, drangen meine Finger rasch in sie ein. Der Muttermund war verschwunden, der Schoß weit offen. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Das Kind lag quer. Eine Panikwelle wollte in mir hochsteigen. Ich musste an den blutigen Dachd e ckerhaken denken.
    Doch dann geschah etwas Merkwürdiges. Es war, als stünde die trotzige Anys neben mir und flüstere mir ungeduldig ins Ohr: »Dieser Mann war Schiff s bader. Er zog Zähne und amputierte Gliedmaßen. Von weiblichen Körpern verstand er nichts. Im G e gensatz zu dir. Du kannst das, Anna. Gebrauche de i ne Mutterhände.«
    Daraufhin betastete ich sachte, ganz sachte den winzigen Körper dieses ungeborenen Kindes, seine Gelenke und Biegungen. Vielleicht konnte ich etwas erkennen. Einen Fuß brauchte ich, so schien es mir. Wenn es mir gelänge, die Füße zurechtzurücken, würden doch sicher die Pobacken an die richtige Stelle schlüpfen. Und Pobacken konnte man gut fes t halten. Ich fand etwas, was sich wie ein Fuß anfühlte, war mir aber nicht sicher, ob es sich nicht doch um eine Hand handelte. Eine Hand war das Letzte, was ich wollte. Wenn ich aus Versehen an einer Hand zog, würde die Schulter nur im gebrochenen Zustand austreten können, indem sich ein kaputtes Knoche n stück über das andere schob. Schon der Gedanke daran war mir unerträglich. Aber wie konnte ich s i cher sein, dass das, was ich spürte, ein Fuß war? Zwischen den kleinen Stupsfingern eines Neugeb o renen und seinen fleischigen Zehenknubbeln ist nicht viel Unterschied. Elinor Mompellion sah, wie ich die Stirn runzelte, und spürte mein Zögern.
    »Was ist los, Anna?«, fragte sie mit leiser Stimme. Ich erklärte ihr meine Zwickmühle. »Was du da unter deiner Hand hast – taste nach dem fünften Glied«, meinte sie. »Und jetzt versuche, es abzubiegen. Steht es wie ein Daumen gegenüber oder nicht?«
    »Nein!«, sagte ich, wobei ich fast schrie. »Es ist ein Zeh!« Zuversichtlich zog ich jetzt. Das Kind b e wegte sich. Ein wenig. Gemeinsam mit den Wehen in Marys Körper gab ich langsam nach und zog wi e der. Vorsichtig. Nachgeben und ziehen. Mary war stark und hielt die Schmerzen gut aus, die inzw i schen ununterbrochen auf sie einstürmten. Als sich die Füßchen endlich durch die Öffnung des Schoßes schoben, änderte sich das Tempo. Alles drängte vo r an. Da ich wusste, dass die pulsierende Nabelschnur auf keinen Fall gequetscht werden durfte, zwängte ich meine Hand mit größter Mühe an den Pobacken vorbei und schob sie zurück. Mary schrie und zitterte vor Qual. Ich spürte, wie mir kochend heißer Schweiß über den Rücken lief. Innerhalb der näch s ten Minuten wäre das Kind da, dessen war ich mir sicher. Ich hatte entsetzliche Angst, der Kopf würde sich nach hinten biegen und damit drinnen festst e cken. Deshalb tastete ich nach dem winzigen Mund und zwängte sachte einen Finger hinein, um bei der nächsten Wehe das Kinn unten und den Kopf g e beugt zu halten. Mary wand sich schreiend. Ich schrie zurück und beschwor sie zu pressen. Noch fe s ter. Als sie unmittelbar vor der letzten Anstrengung aufgab, war ich verzweifelt, denn ich spürte, wie das Kind wieder hineinrutschte. Endlich schoss eine bl u tig-braune Masse heraus, und da war er – ein kleiner glitschiger Junge. Und einen Augenblick später brül l te auch er aus vollem Halse.
    Als Randoll seinen gesunden Sohn hörte, platzte er durch die Decke vor der Türe. Wie eine Motte fla t terten seine großen Bergmannshände vom feuchten Kinderkopf zur erhitzten Wange seiner Frau und wieder zurück, als wüsste er nicht, wen er am lieb s ten berühren wollte. Während ich die fleckigen T ü cher einsammelte, stieß Elinor die Fensterläden auf. Erst im Licht des schwindenden Tages dämmerte es mir, dass wir die Nabelschnur

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