Das Pesttuch
ihren Schritt und trabten weiter. Schließlich entzogen die grauen Hä u ser von Stoney Middleton sie unseren Blicken.
Neben mir seufzte Michael Mompellion. Als er merkte, dass wir alle reihum bedrückt wirkten, nahm er sich zusammen, lächelte und sagte so laut, dass es alle hören konnten: »Seht ihr? Dieser einfache Mann hat uns seinen Segen gegeben, und ihr könnt sicher sein, dass ähnliche Gebete in den umliegenden Or t schaften auf den Lippen aller liegen. Und sicher wird Gott all diese Gebete erhören und uns Seine Gnade schenken!« Doch er blickte nur in verhärmte und ernste Gesichter, denn jeder von uns war sich der Tragweite unserer Entscheidung wohl bewusst. Wä h rend wir uns auf den Rückweg zum Dorf machten, ging er von einem kleinen Grüppchen zum nächsten. Nach einem Gespräch mit ihm schienen die meisten ein wenig mehr Mut zu fassen.
So erreichten wir die Dorfstraße. Da in Kürze mein Arbeitstag im Pfarrhaus begann, ging ich mit Mister Mompellion weiter. Elinor Mompellion b e grüßte uns schon mit ihrem Tuch um die Schultern an der Türe. Offensichtlich wollte sie unbedingt weg. Sie habe mich, meinte sie, schon erwartet, da sie e t was zu erledigen habe, wozu sie meiner Hilfe bedü r fe. Noch ehe der Herr Pfarrer fragen konnte, worum es denn gehe, nahm sie mich ungeduldig beim Arm und schob mich fast den Weg hinunter.
Mistress Mompellion ging immer ziemlich schnell, aber heute rannte sie fast. »Randoll Daniel war heute Morgen hier«, sagte sie. »Seine Frau liegt in den Wehen. Da es die Gowdies nicht mehr gibt, wusste er nicht, wo er Hilfe für sie suchen sollte. Ich habe ihm erklärt, wir kämen direkt dorthin.«
Bei diesen Worten wurde ich blass. Meine eigene Mutter s tarb im Kindbett, als ich vier Jahre alt war. Das Ungeborene lag quer, und sie hatte vier Tage lang Wehen, währenddessen sich Mem Gowdie ve r geblich bemühte, seine Lage zu ändern. Als schlie ß lich meine Mutter vor Erschöpfung bewusstlos wu r de, war mein Vater nach Sheffield geritten und mit e i nem Bader zurückgekehrt, mit dem er als Junge zur See gefahren war. Der von Wind und Salz gegerbte Mann wirkte entsetzlich auf mich. Ich konnte nicht glauben, dass sich seine harten Hände dem zarten Körper meiner Mutter nähern durften.
Er benutzte einen Dachdeckerhaken. Um seine e i gene Angst zu dämpfen, hatte mein Vater so viel Grog getrunken, dass er nicht geistesgegenwärtig genug war, mich vom Zimmer fern zu halten. Als meine Mutter, vor Schmerzen brüllend, wieder zu Bewusstsein kam, kam ich hereingerannt. Mem schnappte mich und trug mich fort, aber zuvor sah ich noch das abgerissene Armchen meiner tot geb o renen Schwester. Ich sehe es noch immer vor mir: das blasse, faltige Fleisch, die winzigen, makellosen Finger, die sich wie eine kleine Blume öffnen und nach mir greifen. Noch heute kann ich dieses blut - und kotbefleckte Schreckensbett riechen. Und die entsetzliche Angst davor hat mich bei jeder meiner eigenen Entbindungen begleitet.
Schon wollte ich Elinor Mompellion erklären, dass ich nicht mit ihr gehen könne und vom Hebamme n dienst keine Ahnung hätte, aber sie fiel mir einfach ins Wort. »Egal, wie wenig du davon verstehst, es ist jedenfalls mehr als ich, die weder je geboren noch irgendwelchen Tieren auf die Welt geholfen hat. Aber du hast das getan, Anna. Du wirst wissen, was zu tun ist, und ich werde dir dabei helfen, so gut es geht.«
»Mistress Mompellion! Gebären ist eine Sache! Geburtshilfe aber etwas ganz anderes. Und ein Lamm ist auch keine lebendige Menschenseele. Sie wissen ja gar nicht, worum Sie mich bitten. Die arme Mary Daniel verdient Besseres als uns beide!«
»Das ist zweifellos wahr, Anna, aber wir sind a l les, was sie h at. O ja, vielleicht wüsste Mistress Ha n cock nach ihren sieben Geburten noch ein oder zwei Dinge, aber gestern ist ihr Zweitgeborener krank g e worden. Ich glaube nicht, dass man sie bitten kann, sein Krankenbett zu verlassen. Außerdem halte ich es auch nicht für klug zu riskieren, dass frische Pestsaat in ein Geburtszimmer getragen wird. Also werden wir unser Bestes für Mary Daniel tun, die eine junge, gesunde Frau ist und mit Gottes Gnade leicht geb ä ren wird.« Sie klopfte auf den Deckelkorb an ihrer Seite. »Sollte sie große Schmerzen leiden, so habe ich hier etwas Mohnsaft.«
Daraufhin schüttelte ich den Kopf. »Mistress Mompellion, meiner Ansicht nach sollten wir ihr keinen Mohnsaft geben, denn Wehen heißen nicht umsonst so. Eine Frau muss ihr
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