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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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musste ich auf meinem aufg e schürften Gesicht schlafen. Mein Rücken, wo mich die Steinplatte erwischt hatte, war ein einziger blauer Fleck. Aber noch mehr schmerzten Arme und Schu l tern. Viele Tage sollten vergehen, ehe ich sogar beim Heben einer Gabel nicht mehr das Gefühl hatte, ich hätte die schwere Keilhaue in der Hand. Trotzdem schlief ich in jener Nacht besser als seit jenen moh n saftgetränkten Nächten. Seit dem Ausbruch der Pest war so viele Mühe vergeblich gewesen. So viele L e ben konnten nicht gerettet, so viele Wunden nicht geheilt werden. Aber wenigstens ein einziges Mal hatte ich in dieser schweren Zeit das befriedigende Gefühl, etwas getan zu haben, was sich letztlich als richtig erwiesen hatte.

 
    Die Knappschaft
     
    I n den folgenden Tagen bekam ich eine Ahnung von meiner fernen Zukunft, sollte ich diese Zeit überst e hen und mein eigenes Alter erleben. Jugend und ein Leben ohne Schmerzen sind ein kostbares Gut. Und doch wissen nur wenige von uns es zu schätzen. Bis wir es verlieren. Viele Tage tat mein Körper bei jeder Bewegung weh. Einen Tontopf von einem hohen Regal herunterzuheben kostete unendlich Mühe. Wenn ich einen Eimer Wasser heraufzog, litt ich Höllenqualen. Deshalb musste ich mir für die ei n fachsten Arbeiten neue Methoden ausdenken. Manchmal half mir Mary Hadfield, wenn sie sah, wie ich mich abmühte, aber ich wollte ihr nicht auch noch meine Not aufbürden.
    Daher war ich eines schönen Morgens, als ich zum Kampf mit dem Brunneneimer ins Freie trat, ung e wöhnlich froh über das Erscheinen meines Vaters. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mir nicht zur Hand gehen würde. Wie gewohnt taumelte er daher, heute allerdings nicht vom Alkohol. Als er näher kam, sah ich, dass ihn das Gewicht, das er schleppte, aus dem Gleichgewicht brachte. Es war ein großer Sack, in dem es bei jedem Schritt klapperte.
    Vermutlich wäre er vorbeigegangen, ohne mich zu bemerken, so drückte ihn diese Last zu Boden. Aber als ich ihm einen guten Tag entbot, hob er den Kopf und winkte seinerseits, ehe er den Sack absetzte. Ich hörte das Klirren von Metall.
    »He, Mädel, und was für’n guter Tag das ist. Die Witwe Brown hat mich mit Zinn für die Gräber von Mann und Sohn b ezahlt. Sollt mich wahrscheinlich bei dir bedanken. Du hast mir schließlich beig e bracht, dass man heutzutage mit Löchergraben Geld machen kann.«
    Da mir darauf keine Antwort einfiel, bat ich ihn, mir beim Wasserholen zu helfen. Er tat es. Alle r dings konnte er sich nach einem kurzen Blick auf mein geschwollenes Gesicht voll blauer Flecken nicht die Bemerkung verkneifen, »ich sähe schli m mer aus wie ein Kuhfladen«. Als er seinen Sack schulterte und weiterging, stand ich da und starrte ihm nach. Hatte ich vielleicht in bester Absicht etwas Übles angerichtet?
    Im Laufe dieser Woche fiel mir auf, dass Nac h barn ihre Gespräche unterbrachen, wenn ich mich näherte. Allmählich wurde mir bewusst, dass man über meinen Vater redete, und zwar schlecht.
    Nach eigenen Worten hatte er sich zum Totengr ä ber für die Verzweifelten ernannt. Von allen, die zu krank oder schwach waren, um ihre Toten zu begr a ben, forderte er eine hohe Gegenleistung. Dafür nahm er das Kostbarste, was Haus und Feld herg a ben, sei es das Fass Heringe, auf das die Kinder als winterliche Notration zählten, die trächtige Sau oder den kostbaren Messingleuchter, der seit Generati o nen vom Vater auf den Sohn vererbt worden war. Manchmal nahm er seine Trophäen in die Hauert a verne mit, stellte sie auf den Tresen und prahlte mit seiner Schlauheit. Als sogar seine besten Freunde dagegen protestierten, bestach er alle mit Bier, das er mit dem Geld der Toten bezahlte. In der Hauertave r ne endeten alle seine Tage. Er trank, bis er kaum noch heimtorkeln konnte. Als ich ihm diese Arbeit vorgeschlagen hatte, hatte ich erwartet, er würde w e nigstens etwas auf sein Äußeres achten, um Aphra und seine Kinder nicht der Pestsaat auszusetzen, die er vielleicht von den Leichen anschleppte. Aber Tag für Tag sah ich ihn in derselben vor Schmutz sta r renden Hose kommen und gehen. Wie konnte er so nachlässig sein?
    Bei einer Begegnung mit Aphra am Grenzstein flehte ich sie an, darauf zu bestehen, dass er diesb e züglich mehr Sorgfalt walten ließ, aber sie lachte nur. »Du steckst doch die ganze Zeit bei den Gowdies und vergräbst die Nase in Unkraut und Tees«, sagte sie. »War vielleicht besser, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was die

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