Das Pestzeichen
den Jahren 1626 bis 1634, als die Pest im Land an der Saar wütete, wurden die Kranken in diese verwaiste Kirche gebracht und ihrem Schicksal überlassen. Die, die sich nicht mehr helfen konnten, wurden von denen gepflegt, die dazu noch fähig waren. Wer konnte, hat die Toten beerdigt. Die Armenfürsorge sorgte für Essen, das ihnen Menschen, die zum Schutz ihre Gesichter mit Schnabelmasken verdeckten, an die Tür stellten. Ach, Elias war einfach ein zu guter Mensch und hat die beiden Kranken nicht allein lassen wollen.«
»Weißt du, woher die kranken Händler kamen?«
Thomas schüttelte den Kopf. »Wie ich bereits erwähnte, fand mein Bruder die beiden vor den Toren Saarbrückens. Er befürchtete, dass man sie wie räudige Hunde erschlagen würde, sollte man feststellen, dass sie an der Pest erkrankt waren. Er erinnerte sich des Pestlazaretts, das nach der letzten Epidemie geschlossen und seitdem von Menschen gemieden wurde. Im Volksmund wird dieses ehemalige Gotteshaus ›Pestkirche‹ oder ›Pestburg‹ genannt. Elias hatte die Kranken nur hierher bringen und am selben Tag zurückkommen wollen. Als er sich nicht meldete, suchte ich ihn. Ich ahnte nicht, dass ich meinen Bruder in der Aschbacher Kirche tot auffinden würde. Sein Körper war noch warm. Er muss erst kurz zuvor gestorben sein. Er, der die beiden Fremden nicht allein lassen wollte, musste einsam sterben. Ich werde mir das nie verzeihen«, sagte Thomas mit leiser Stimme.
Er stand auf und ging in die äußerste Ecke des Raums, wo er sich gegen die Wand setzte. Sein Sohn Johannes verließ die Kirche, um wenig später mit mehreren weichen Tannenzweigen zurückzukommen, die er neben seinem Vater auf dem Boden ausbreitete. Dankbar legte Thomas sich auf das grüne Lager.
Markus schaute den Alten verächtlich an, denn sein Gejammer ging ihm auf die Nerven. Mürrisch stand er auf und verließ die Kirche.
Draußen sah er nach den Pferden, die in einem eingegrenzten Bereich neben der Kirche grasten. In der Nähe erblickte er Jeremias, der, mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt, auf dem Boden saß.
»Ich hätte dich beinahe übersehen. Was machst du hier in der Dunkelheit? Komm in die Kirche«, forderte Markus ihn auf.
»Ich werde bei den Pferden schlafen. Nur so können wir verhindern, dass das Mädchen uns nicht wieder bestehlen wird.«
»Gib zu, dass du dich in der Kirche fürchtest«, spottete Markus.
»Halt’s Maul!«, knurrte Jeremias.
»Mach, was du willst. Ich schlafe drinnen«, sagte Markus und riss sich einige Tannenäste für ein Nachtlager ab, mit denen er in der Kirche verschwand.
Jeremias blickte Markus wütend hinterher. »Strohkopf«, verspottete er den Gefährten leise. Er war verärgert, dass er der Einladung von Vater und Sohn gefolgt war. In dem Augenblick, als der Alte das Wort Pest aussprach, hätte ich das Weite suchen sollen , beschimpfte er sich selbst. In Gedanken rechnete er aus, wie viele Hilfsgebete in Sankt Johann für ihn noch gelesen würden, damit Gottes Segen ihn vor der Pest bewahre. Erleichtert atmete er aus. Bis er den Schatz gefunden hatte, würde das Geld, das er nach dem Pesttod seiner Familie dem Kloster für Fürbitten gezahlt hatte, reichen.
Als der neue Tag anbrach, wusste Jeremias nicht, ob er überhaupt geschlafen hatte, denn ihn plagte das Gefühl, kein Auge zugemacht zu haben. Als er endlich eingenickt war, hatte ihn das Fiepen der Ratten aufgeschreckt. Im schwachen Licht der Morgendämmerung konnte Jeremias mehrere Tiere erkennen, die in der Pestkirche verschwanden.
Markus erwachte, weil etwas über sein Gesicht huschte. Er öffnete die Augen und sah eine Ratte, die die Reste aus den Holznäpfen fraß. Eine andere saß an seinem Fußende und blickte ihn aus schwarzen Augen an. Markus stieß sie mit dem Fuß weg, sodass sie laut aufquiekte. Er setzte sich hoch und kratzte sich am Kopf und im Gesicht. »Ich glaube, Johannes’ Floh sitzt jetzt auf mir«, murmelte er. Er erblickte Thomas, der aus traurigen Augen vor sich hinstarrte.
»Ist es schon hell?«, fragte Markus gähnend.
»Es dämmert«, antwortete Thomas.
»Weck mich, wenn es hell ist«, sagte Markus und streckte sich wieder aus.
Susanna stapfte hinter Urs durchs Gehölz. Sie suchten den Pfad, der sie zur Aschbacher Kirche bringen würde. Als sie ihn endlich gefunden hatten, folgten sie dem Weg, bis sie das Gemäuer sahen. Im Dunst des Morgenlichts wirkte die graue Steinkirche unheimlich, sodass Urs und Susanna langsam und zögernd auf
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