Das Pestzeichen
auf den Toten und bemerkte erst jetzt, dass neben der offenen Grube zwei frisch zugeschüttete Gräber lagen. Stumm wies er zu ihnen, sodass die Blicke der Männer seinem Finger folgten.
»Was ist mit denen passiert?«, fragte Jeremias heiser.
»Sie waren fahrende Händler, die sich unterwegs ebenfalls mit der Pestilenz angesteckt hatten. Mein Bruder Elias hat sie vor den Toren von Saarbrücken aufgenommen und hierhergebracht.«
»Werden hier keine Messen abgehalten?«, fragte Markus, der bis dahin schweigend dabeigestanden hatte. Der Mann verneinte. »Schon seit über fünfzig Jahren nicht mehr. Die Bewohner von Gersweiler und Ottenhausen hatten sich über den langen und beschwerlichen Fußweg zur Aschbacher Kirche beschwert und dürfen seit langer Zeit in Malstatt am Gottesdienst teilnehmen.«
»Liegen noch andere Pestkranke in der Kirche?«, fragte Jeremias mit bebender Stimme und wischte mit seinem Ärmel über die Stelle, wo der Mann ihn angefasst hatte.
»Nein. Es gibt keine anderen Erkrankten. Nachdem mein Bruder die beiden Fremden gepflegt hat, ist er selbst an der Pest erkrankt und gestorben. Wir werden die Kirche säubern und morgen nach Hause gehen«, sagte der ältere Mann mit leiser Stimme.
Markus blickte Jeremias zornig an und zischte: »Ich sagte dir gleich, dass wir dem Alten unten im Ort nicht trauen können. Sicher hat er gewusst, dass in der Kirche Pestkranke auf den Tod warten.«
Der Mann schaute ihn verständnislos an. »Natürlich wissen die Menschen in der Umgebung der Aschbacher Kirche, dass Pestkranke hier zum Sterben hergebracht werden. Das war schon vor fast dreißig Jahren so, nachdem Graf Ludwig von Nassau-Saarbrücken der Stadt Saarbrücken die verlassene Kirche zu Aschbach geschenkt hat. Sie war eine Wüstung und sollte als Pestlazarett dienen. Heute verirrt sich kaum mehr jemand hierher, da die Menschen die Kirche wegen ihrer Geschichte meiden. Die Lebenden vergessen, dass das ehemalige Gotteshaus die letzte Zufluchtsstätte für arme Seelen war. Doch ihre Gräber erinnern an ihre Geschichte«, sagte er und wies mit der Hand um sich.
Jetzt erkannten Jeremias und Markus zahlreiche flache Grabhügel, die von Unkraut, Moos und anderen Pflanzen überwuchert waren.
»Warum hat dieser alte Krüppel uns nichts darüber gesagt?«, schimpfte Markus, während Jeremias entsetzt fragte: »Haben die Menschen keine Angst, dass die Pest sie wieder heimsuchen könnte?«
Der Fremde schüttelte den Kopf. »Sie hoffen, dass das Zeichen der spiegelverkehrten Vier an ihren Haustüren sie vor der Pestilenz beschützen wird.«
Jeremias blickte Markus erschrocken an, der ihm zornig zuraunte: »Bevor wir heimwärts ziehen, statte ich dem Alten im Dorf einen Besuch ab.«
Der fremde Mann und der Bursche bekamen davon nichts mit. Seufzend hob der Grauhaarige die Schaufel auf, die neben der Grube lag. »Sei so freundlich und hilf mir, meinen Bruder Elias zu beerdigen. Seit ich das Grab ausgehoben habe, schmerzt mein Kreuz«, sagte er zu Markus und drückte ihm die Schaufel in die Hand.
Markus wollte aufbegehren, doch Jeremias schüttelte den Kopf. Daraufhin beherrschte er sich und schaufelte mit verbissener Miene die Erde auf den Leichnam.
Kapitel 28
Susanna und Urs hatten beschlossen, nahe dem Teich zu übernachten. Kaum lag Urs ausgestreckt auf dem weichen Boden, war er eingeschlafen. Susanna aber konnte keine Ruhe finden. Zu viele Gedanken beschäftigten sie, denn am nächsten Morgen wollten sie die Stelle suchen, die auf der Schatzkarte eingezeichnet war. Sie glaubten fest an die Geschichte, dass ihnen ein Schatzgeist den Weg weisen und die Suche erleichtern würde. Als Susanna erstmals hörte, sie müsse sich vor Dämonen in Acht nehmen, wie ihr die Sonntag-Brüder und Karl Lauer geschildert hatten, war ihr der Schreck durch alle Glieder gefahren. Doch jetzt, da sie Urs an ihrer Seite wusste, fürchtete sie den Geist nicht mehr.
Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte in die Dunkelheit. Was würden sie im Boden vorfinden? Urs und sie hofften auf Silber und Gold, doch da ein Mönch den Schatz vergraben hatte, konnten es auch Gegenstände aus einem Gotteshaus sein. Vielleicht Becher, die mit Edelsteinen verziert waren? »Einerlei, was es ist: Ich werde reich sein«, seufzte Susanna leise.
Sie hörte ein Geräusch, das vom Teich kam. Erschrocken setzte sie sich hoch und erblickte eine Ricke, die mit ihrem Kitz am Ufer des Teichs stand und Wasser soff. Das Junge jedoch wollte
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