Das Pestzeichen
auf dich. Wenn du dann nicht zurück bist, schicke ich dir die Meute nach«, versprach Anna, als er aufsaß.
Jeremias nickte und ritt langsam vom Hof.
Susanna atmete erleichtert auf, als sie aus dem Wald ritt und auf den Weg nach Gersweiler stieß. Sie lenkte Dickerchen nach rechts und blickte sich nach dem anderen Pferd um, das sie am Strick mitführte und das ihr mühelos folgte. Als sie Dickerchen in die Flanken treten wollte, damit er antrabte, knurrte ihr Magen. Ihr wurde bewusst, dass sie seit der Mahlzeit mit dem Eichhörnchenbraten nichts gegessen hatte. Weil sie aber keine Zeit verlieren wollte, unterdrückte sie den Hunger und trabte an.
Jeremias galoppierte, so schnell das Pferd konnte, den Berg hinauf. Dabei achtete er auf den Wegesrand, um nicht wieder den Pfad in den Wald zu verpassen, als ihm in einer Kurve Susanna entgegenritt. Sogleich riss er am Zügel und schrie: »Halt an!«
Susanna hatte den Reiter in seinem schwarzen Mantel sofort erkannt und angehalten. Langsam wendete sie das Pferd und ritt auf Jeremias zu, der ihr entgegenkam.
»Wo ist Urs?«, schrie sie ihm zu.
»Warum bist du frei?«, schrie er zurück, ohne auf ihre Frage einzugehen. Beide führten ihre Pferde nebeneinander und blickten sich gegenseitig zornig an.
»Wo ist Markus?«, fragte Jeremias.
»Er ist tot«, erklärte sie ungerührt.
»Du Miststück hast …«, brüllte er, doch sie schnitt ihm das Wort ab.
»Männer kamen in der Nacht und haben ihn umgebracht.«
»Männer? Du lügst!«, zischte er. »Ich weiß zwar nicht, wie es dir gelungen ist, dich zu befreien, aber das werde ich in Erfahrung bringen.«
Jeremias packte die Zügel, doch Susanna war schneller und zog sie ihm mutig weg. Dann trat sie dem Pferd in die Seite, sodass es einige Schritte vorwärtsging und sie außer Reichweite kam.
»Glaub, was du willst. Wo ist Urs?«
»Das sage ich dir erst, wenn du mir die Schriften gibst.«
»Nein, Jeremias! Du wirst mich anlügen, und ich bin die Schriften los, ohne zu wissen, wo Urs steckt.« Sie überlegte: »Vielleicht hast du ihn nicht gefunden, und er ist bereits auf dem Weg zu seiner Familie.«
»Sei beruhigt, ich habe ihn gefunden.«
»Beweise es!«
Jeremias stöhnte auf. »Wenn ich gewusst hätte, dass ich es dir beweisen muss, hätte ich ihm die Hand abgehackt«, spottete er. Dann verzog ein Grinsen sein Gesicht. »Er hat mir verraten, dass er ein Heiler und kein Vergifter ist.«
Susannas Herz raste. »Wo ist er? Und warum sagte er, dass er kein Vergifter sei?«, wollte sie wissen.
»Die Schriften«, sagte Jeremias und hielt ihr die Hand hin.
Susanna wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, wenn sie erfahren wollte, wo sie Urs finden würde. Mit grimmigem Blick wandte sie sich von ihm ab, fasste unter ihren Kittel und zog das Heftchen hervor. »Werde glücklich damit«, sagte sie und streckte sich, damit Jeremias die Schriften nehmen konnte.
Er lachte laut und schallend und drückte einen Kuss auf das Papier. »Endlich!«, flüsterte er.
»Was ist mit Urs?«, schrie Susanna, da sie befürchtete, Jeremias würde jeden Augenblick verschwinden.
»Frag im Wirtshaus nach ihm«, grölte er und ritt davon.
Susanna konnte nicht glauben, was Jeremias ihr eben verraten hatte. »Im Wirtshaus?«, murmelte sie ungläubig und spürte, wie Wut, aber auch Enttäuschung in ihr hochstieg. »Dieser verdammte Mistkerl!«, fluchte sie aufbrausend. »Während ich um mein Leben bange, vergnügt er sich mit diesem leichtfertigen Mädchen im Wirtshaus. Na warte!«, schrie sie und galoppierte den Berg hinab.
Kapitel 33
Susanna führte die Pferde zu der Koppel, auf der Dickerchen bei ihrer Ankunft gegrast hatte. Kaum hatte das Mädchen den beiden Pferden das Zaumzeug abgenommen, machten sie freudige Sprünge und schüttelten die Mähnen. Susanna hoffte, dass der Bauer auch dieses Mal nichts dagegen haben würde, dass die Tiere auf seiner Weide standen. Sie legte das Zubehör neben den Zaun, schloss das Gatter und schaute ein letztes Mal zu den Pferden, die sich schnaubend im Gras wälzten.
Als Susanna den Weg entlangblickte, der zum Wirtshaus führte, spürte sie Unbehagen und Zweifel in sich hochsteigen. Hatte sie das Recht, Urs zur Rede zu stellen? Sie beide waren weder ein Paar noch verwandt, noch war er ihr gegenüber verantwortlich. War es nicht unverschämt von ihr, ihm Vorhaltungen machen zu wollen? Ihr schlechtes Gewissen meldete sich, da sie ihn durch ihre Lüge mit den angeblichen Schmerzen zum Bleiben
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