Das Pestzeichen
erinnern«, sagte er und wies mit der Hand die Richtung. Außerdem nannte er einige Ortschaften, die auf dem Weg lagen.
Susanna bedankte sich und strahlte ihn dabei an, sodass der alte Bauer verschmitzt lächelte. »Wenn der Soldat dich nicht mehr will, ich bin der Claß Beyer aus Wahlen«, sagte er und zwinkerte ihr zu.
Laut lachend trat Susanna dem Pferd in die Flanke und preschte davon.
Es dämmerte, als sie die Grenze von Westrich, wie das Land an der Saar auch genannt wurde, hinter sich ließ. Erst als die Dunkelheit es ihr unmöglich machte, den Weg zu erkennen, suchte sie einen Platz zum Übernachten. Am Wegesrand an einer Wiese sah Susanna die Umrisse einer Eiche und lenkte das Pferd dorthin. Nachdem sie mit einem leisen »Brrrr« Dickerchen dazu gebracht hatte, stehen zu bleiben, stieg sie ab. Bevor sie ihn vom Zaumzeug befreite, legte sie ihm ein Halfter an und band den Strick fest, den ihr der Bauer aus Gersweiler vorsorglich mitgegeben hatte. Sie riss einen dicken Ast vom Baum und steckte ihn als Pflock in die Erde, an dem sie das andere Ende des Seils festband. So konnte das Tier grasen, ohne wegzulaufen.
Aufmerksam blickte Susanna sich nach allen Seiten um. Da nur freies Feld um sie war, konnte sie die Umgebung gut einsehen und beobachten. Sie wusste, dass es leichtfertig war, diese Reise allein zu unternehmen. Immer wieder hörte man, dass Wegelagerer, herumlungernde Soldaten oder sonstiges Pack Reisende überfielen, Frauen schändeten und auch mordeten. Aber was hätte sie machen sollen? Wer hätte sie begleiten können? Auch konnte Susanna nicht darauf vertrauen, dass der Amtmann von Saarbrücken die Unschuld von Urs erkennen würde. Sie musste seinen Vater finden, der wahrscheinlich der Einzige war, der ihm helfen konnte.
Susanna versuchte die Gedanken an mögliche Gefahren zu verscheuchen, zumal sie hier nur kurz ruhen und schon im Morgengrauen weiterreiten wollte. Da ihr auf dem bisherigen Weg kaum jemand begegnet war, hoffte sie, dass es so bleiben würde.
Sie setzte sich nieder und lehnte ihren Rücken gegen den rissigen und rauen Stamm der Eiche. Aus ihrem Beutel nahm sie das Stück Käse und das Brot, das ihr der Bauer aus Gersweiler mitgegeben hatte. »Damit du unterwegs nicht verhungerst«, hatte er ihr mit einem Augenzwinkern zugeraunt. Während sie dasaß und in den Käse biss, dachte sie über ihre Lage nach. Wenn ihr jemand im Frühjahr erzählt hätte, dass alles so kommen würde, hätte sie ihn als Narren beschimpft. Doch nun war in wenigen Wochen mehr geschehen als in all den Jahren davor. Sie war allein, ihre Familie war tot, ihr einziger Freund eingesperrt. Und nun musste sie in einer fremden Stadt fremde Menschen treffen, die nicht ihre Sprache redeten. Wenn es nicht so tragisch wäre, müsste man lachen , dachte sie bitter.
Susanna seufzte und verdrängte die traurigen Gedanken, denn sie wollte nicht weinen. Als sich das Gesicht von Urs in ihre Gedanken schob, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Susanna schluckte das letzte Stückchen Käse hinunter und steckte das restliche Brot zurück in den Beutel. Ihr Rücken schmerzte, und sie streckte sich. Müdigkeit überfiel sie, doch sie wollte wach bleiben und die Gegend beobachten, um rechtzeitig gewarnt zu sein, wenn Gefahr drohte. Um nicht einzuschlafen, zählte Susanna leise die Namen der Menschen auf, die in den letzten Wochen ihren Weg gekreuzt hatten. Dabei stellte sie fest, dass sie in der kurzen Zeit mehr Leute kennengelernt hatte als in all ihren Lebensjahren zuvor. Sie dachte an ihren Vetter und an die beiden Brüder Ludwig und Paul, die auf dem Hof des Bachmichel-Hauses ein neues Zuhause gefunden hatten. Aber sie dachte auch an den Schäfer, den Freund ihres Vaters. Thomas hatte versprochen, sie bei der Muhme in Brotdorf zu besuchen. Was er wohl sagen wird, wenn er erfährt, warum ich von dort weggegangen bin?
Über diesem Gedanken fielen ihr die Augen zu, und sie schlief fest ein.
–·–
Als Urs hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte, schreckte er hoch. Die meiste Zeit kauerte er auf dem Boden, doch nun richtete er sich auf und schaute erwartungsvoll zur Tür, die sich langsam öffnete. Doch nicht Anna, sondern ein anderes Mädchen erschien. »Wo ist Anna?«, fragte er enttäuscht.
»Komm mir nicht zu nahe«, schrie die Magd sofort und stellte hastig eine Schüssel und einen Krug auf den Boden. Ohne ein weiteres Wort wollte sie gehen und war schon im Begriff, die Tür zu schließen, als Anna
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