Das Pestzeichen
war es Französisch. Aber warum sonst sollten sie alles durchsuchen, wenn es dabei nicht um Geld ging?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, erklärte Susanna, die nun sicher war, dass es nicht Jeremias mit seiner Bande gewesen sein konnte.
Pauls Stimme zitterte, als er leise fortfuhr: »Ich werde den Hass in den Augen der Männer nie vergessen. Als diese Räuber meine Mutter schändeten, haben sie laut gelacht, und als sie meinem Vater den Schwedentrunk verabreichten, redeten sie voller Verachtung.«
»Schwedentrunk?«, fragte Susanna entsetzt. Sie wusste vom alten Schäfer, was das bedeutete. Thomas hatte ihnen berichtet, wie er während des Krieges beobachtet hatte, dass feindliche Männer einem Bauern einen Trichter in den Mund gesteckt hatten und er die Jauche, die sie hineinfüllten, schlucken musste. »Diese Folter nennt man den Schwedentrunk«, hatte Thomas damals erklärt und sich dabei wie ein nasser Hund geschüttelt. »Kaum einer überlebt diese Tortur«, hatte er hinzugefügt und einen Selbstgebrannten hinuntergekippt.
»Wir haben ihnen nichts getan!«, schluchzte Paul auf. Er zog die Knie an, umklammerte sie und legte seinen Kopf auf die Arme.
Susanna strich ihm über den Rücken und sagte mit rauer Stimme: »Ich weiß, wie du dich fühlst. Auch mir hat man meine Familie auf schreckliche Weise genommen. Nur, dass ich nun allein bin. Du hast noch Ludwig.«
Mit tränennassem Gesicht schaute Paul auf. »Was ist mit deinen Angehörigen passiert?«
Susanna schluckte, doch dann sprach sie zum ersten Mal über die Gräueltaten auf dem elterlichen Hof – zuerst stockend, dann kamen die Worte flüssig über ihre Lippen. Als sie geendet hatte, war auch ihr Gesicht tränennass, und sie fühlte sich erschöpft.
»Ich lege mich wieder hin«, erklärte sie müde und kroch neben Ludwig auf den Boden.
Paul blieb noch eine Weile am Eingang sitzen, dann legte er sich an die andere Seite seines Bruders und schlief wie Susanna rasch ein.
Es regnete den ganzen Tag und die darauf folgende Nacht. Erst am nächsten Morgen klarte der Himmel auf, und die Regenwolken zogen weiter. Da der ausgetrocknete Boden das viele Wasser nicht aufnehmen konnte, hatten sich großflächige Seen auf Wiesen, Weiden und Äckern gebildet.
»Wie weit ist es bis zu deiner Muhme?«, fragte Paul.
»Ich hoffe, dass ich am frühen Abend da sein werde«, erklärte Susanna und versuchte zu lächeln.
»Bis Eppelborn ist es nicht so weit, aber bei dem aufgeweichten Boden wird es sicherlich beschwerlich sein vorwärtszukommen«, meinte er und betrachtete die Schlammpfützen, die sich überall gebildet hatten.
Der kleine Ludwig kam aus dem Unterstand hervor und umklammerte Susannas Hand. Sie verstand sofort und ging vor ihm in die Hocke. »Ich kann nicht mit euch gehen«, erklärte sie ihm. »Ich muss zu meinen Verwandten.« Liebevoll streichelte sie dem Kind über den Scheitel und drückte es an sich. Dann erhob sie sich und umarmte auch Paul.
Der erwiderte ihre Umarmung und sagte: »Danke, dass du dein Essen mit uns geteilt hast.« Als Susanna sich von ihm löste, sagte er mit ernstem Blick: »Wenn es dir bei deiner Tante nicht gefällt oder ihr Mann grob zu dir ist, dann komm zu uns nach Eppelborn.«
Susanna hatte ihm tags zuvor von dem garstigen Mann ihrer Tante erzählt. »Das ist sehr nett von dir, Paul! Aber ihr beide müsst schauen, dass ihr selbst unterkommt.«
»Trotzdem«, erwiderte der Junge. »Auch für dich wird sich im Bachmichel-Haus ein Plätzchen finden.«
Gerührt drückte sie seine Hand und gab Ludwig einen Kuss auf die Stirn. »Lebt wohl, und passt auf euch auf.«
Dann führten sie ihren Weg in entgegengesetzte Richtungen fort.
Es dämmerte bereits, als Susanna den Hof ihrer Verwandten vor sich liegen sah. Sie hielt kurz inne und atmete tief ein und aus. »Albert kann mir nichts anhaben und mich auch nicht fortschicken«, murmelte sie, um sich Mut zuzusprechen. Trotzdem breitete sich Unbehagen in ihr aus. Entschlossen straffte sie die Schultern und ging weiter.
Agnes kam gerade aus dem Hühnerstall, als sie ihre Nichte erblickte. »Was willst du?«, fragte sie erstaunt. Susanna konnte nicht sogleich antworten, denn sie hatte Angst, die Wahrheit auszusprechen. »Was willst du?«, fragte ihre Tante erneut, und Susanna glaubte einen ärgerlichen Unterton herauszuhören.
»Ich will … ich komme … der Hof …«, stotterte Susanna, als hinter ihr der Oheim zu keifen begann.
»Sollst uns wohl die Ziege wieder wegnehmen?
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