Das Pete Buch 02 - Gespenster haben kurze Beine
verständlicher ausdrücken?" meinte Bill Osborne. „Ich denke, wir haben mit Joe Morton Frieden geschlossen ..."
„Wir haben ihn zur Neutralität gezwungen", erklärte „General Pete", skrupellos wie alle großen Feldherrn. „Aber das bedeutet nicht, daß wir dabei unser Kriegsziel aus den Augen verlieren. Der neue Gegner heißt: Applewood. Und um ihn zur Entscheidungsschlacht zwingen zu können, müssen wir durch neutrales Gebiet marschieren. Das ist zwar gegen das Völkerrecht, aber schon Napoleon sagte ..."
„Napo - wer?" fragte Bill.
„Französischer Kaiser, du ungebildeter Mensch. Bedeutender Feldherr! Eroberte halb Europa und holte sich vor Moskau kalte Füße. Was hast du eigentlich in der Schule getan, wenn .Geschichte' an der Reihe war?"
„Geschlafen", sagte Bill ungeniert. „Manchmal habe ich auch die Rechenaufgaben gemacht. Was sagte schon Napolijum?"
„Ich hab's vergessen, aber es war etwas sehr Kluges", sagte Pete. „Was meldet unser Spionagedienst?"
„Mister Applewood ist mit seinem Sekretär Nobody zur Ghost-Ranch geritten", erklärte der Chef des Spionagedienstes, Johnny Tudor. „Sam Dodd ist hinterher, um den Feind zu beobachten. Die beiden Privatdetektive —
ein gewisser Yale und ein noch gewisserer Strong — befinden sich oben im Haus, also in dem Zimmer, das sie im .Silberdollar' gemietet haben. Von dem Mädchen, Miss Nora Paddington, hat man noch nicht viel gesehen."
„Alter?" erkundigte sich Pete.
„Wie deine Schwester — etwa siebzehn Jahre — schwarz."
„Eine — Negerin?"
„Schwarzhaarig", verbesserte sich der Spionagechef. „Dunkle Augen, na und so weiter — eben ein Mädel."
Aha!" meinte Pete und dachte über das „Und so weiter" nach. „Ist sie nett?" erkundigte er sich so nebenbei.
„Gute Mittelsorte", bemerkte Johnny. „Die Leute sagen, sie wäre nicht ganz richtig im Kopfe. Darum sind auch die beiden Detektive mit dabei, die darauf achten müssen, daß sie sich nichts antut."
In diesem Augenblick sah Pete seine Schwester auf einem kleinen, einspännigen Wagen herankommen. Die leichte Kutsche, eine sogenannte „Landrette", diente sonst dem Zweck, die Vorräte aufzunehmen, wenn Dorothy Einkäufe in Somerset machte. Heute gehörte die Kutsche zu dem Plan, den Pete geschmiedet hatte ...
Dorothy brachte die Kutsche zum Halten. Sie trug einen mit Stickereien verzierten Rock, dessen Saum mit bunten Fransen besetzt war, rotlederne Reitstiefel, weißseidene Bluse und einen riesigen mexikanischen Sombrero-Hut, der mit einem Lederriemen unter dem Kinn befestigt war.
„Holla!" rief das Mädchen mit blitzenden Augen; sie knallte mit der Peitsche. „Habe ich mich nicht hübsch gemacht?!"
Pete hatte noch niemals darüber nachgedacht, ob Dorothy „hübsch" war — und seine Freunde noch weniger. Dorothy war eben „ein Mädel" — und, wollen wir wetten, sie bildete sich auch noch etwas darauf ein!
Als Feldherr sah Pete auf dem Wagen kein anmutiges Mädchen, sondern einen seiner Offiziere sitzen, der versäumt hatte, Meldung zu erstatten. Aber er sah schon selber, daß sie die große Holzkiste mitgebracht hatte, die zu seinem Plan gehörte.
„Kind, sei nicht so eitel. Wir befinden uns mitten im Kriege. Wenn du Komplimente hören willst, dann wende dich an Jimmy Watson — das ist so ein dummer Affe, der die Mädels anglotzt und sich aufspielt — und ihnen nachläuft, als wäre etwas Besonderes dabei, haha!"
„Pah!" machte Dorothy, um ihre Verachtung für Jimmy Watson und für die Jungen im allgemeinen auszudrücken. „Dann kann ich ja wieder nach Hause fahren, wenn ihr mich nicht braucht!"
„So war das nicht gemeint", lenkte Pete rasch ein. „Wir brauchen dich — zunächst einmal gehörst du zur .Reserve', aber möglicherweise mußt du uns bald helfen. Ich werde erst einmal kundschaften — .die Lage peilen' — gehen ..."
Pete schlenderte über die Straße und erreichte die Kneipe „Zum Silberdollar". Die Fremdenzimmer befanden sich im oberen Stockwerk, und der Zufall wollte es,
daß Nora Paddington gerade aus dem Fenster auf die Straße hinab blickte.
Die Gelegenheit war selten günstig. Das schwierigste Problem bestand darin, mit dem Mädchen Verbindung aufzunehmen, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zu veranlassen, der strengen Aufsicht ihres Oheims — des Millionärs Applewood — zu entfliehen.
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