Das Phantom auf dem Feuerstuhl
Ströter nicht. Er sah eher so aus, daß man Mitleid haben
konnte.
jetzt lächelte er und zeigte noch mehr
von seinen Mausezähnen.
„Der Junge, nicht wahr? Erkenne dich.“
Er hat wieder fünf Bier getrunken,
dachte Tarzan. Man riecht’s.
„Sie haben recht, Herr Ströter. Ich
wollte mal vorbeischauen, wie versprochen. Meine Freunde habe ich mitgebracht.“
„Nett. Kommt ‘rein. Könnt’ ein Bier
trinken.“
Er hob eine bleiche, knochige Hand und
winkte den anderen zu.
„Wir kommen gern zu Ihnen ‘rein“, sagte
Tarzan. „Aber Bier trinken wir nicht.“
Die Räder lehnten sie an den Zaun.
Tarzan stellte seine Freunde vor. Als Gaby den Mann begrüßte, wurde er rot und
blickte verlegen zu Boden.
Das gibt’s doch nicht! dachte Tarzan.
Ein erwachsener Mann! Und läßt sich von einem 13jährigen Mädchen aus der
Fassung bringen. Gaby ist zwar ‘ne Schönheit. Trotzdem! Ein komischer Knilch.
Bin gespannt, ob er ihr einen Holzesel schenkt.
Im Flur war es finster wie in einem
unterirdischen Gang. Es roch auch so — modrig und feucht. Der Boden hatte
Fliesen. Das spürte man. Die meisten waren locker und machten klick-klack, wenn
man drauftrat.
Ströter führte die vier Freunde in
seinen Wohnraum. Da sah’s vielleicht aus: Möbel von anno dazumal; mit Plüsch
und Spitzendeckchen; dunkle Schränke, Kommoden und Vitrinen, schwere Sessel,
Sofas und Fußbänkchen — aber alles so abgenutzt, daß sich kein
Antiquitätenhändler dafür interessiert hätte. Und die nehmen eigentlich alles,
wenn’s noch nicht auseinanderfällt. Die Wände waren von gerahmten Stahl- und
Kupferstichen und Ölgemälden so vollgehängt, daß man von der Tapete nichts mehr
sah. Die Atmosphäre wirkte verstaubt und bedrückend. Man kriegte kaum Luft.
Die Kinder wurden genötigt, sich an den
Tisch zu setzen.
Ströter lief in die Küche, um Limonade
zu holen.
„Hier ist es unheimlich“, flüsterte
Gaby. „Und wie der aussieht!“
„Dafür kann er nichts“, sagte Tarzan,
den es grundsätzlich störte, wenn zu rasch und gefühlsmäßig über jemanden
geurteilt wurde. Allerdings — daß der erste Eindruck stimmte, hatte er schon
oft erlebt.
Ströter kam mit einem Tablett zurück, darauf
vier nicht ganz saubere Gläser, eine große Limonadenflasche und eine Flasche
Bier. Der Schnitzer brauchte kein Glas, er trank aus der Flasche.
Klößchen, der fast verdurstete, stürzte
seine Limonade auf einen Zug hinunter.
Ströter setzte sich nicht an den Tisch,
sondern in einen Sessel am Fenster, zeigte wieder zwei lückenlose Reihen
kleiner Mausezähne, was bei ihm jedes Lächeln begleitete, und zupfte sich am
Ohr.
„Hat’s überlebt, der Lehrer, ja? Freut
mich. Erzähl’ mal! Wie nennt man dich? Tarzan? Gut, gut! Steht schon was in den
Zeitungen? Kann ja nicht, aber morgen. Morgen werde ich mir alle besorgen.
Vielleicht steht auch drin, daß ich den Doktor verständigt habe. Hast du’s dem
Reporter gesagt?“
„Ich habe gar keinen Reporter gesehen“,
erwiderte Tarzan.
„So? Ach!“ Ströter schien enttäuscht.
Er nuckelte an seiner Bierflasche und sah für einen Moment ganz beleidigt aus.
„Aber in unserer Schülerzeitung“, sagte
Tarzan, „werde ich über den Unfall berichten. Dabei erwähne ich, daß nicht
jeder so hilfsbereit ist wie Sie. Das erste Auto, das ich gestern abend
anhalten wollte, fuhr vorbei.“
„Jaja“, meinte Ströter. „Die Menschen.
Schlechtigkeit ist verbreitet. Viele verdienen, daß sie eins auf den Deckel
kriegen. Wenn man nur wüßte, woran man die netten erkennt!“
„Auf der Stirn steht’s keinem
geschrieben“, sagte Gaby. „Aber wenn man sich mit einem Menschen befaßt, merkt
man doch, was mit ihm los ist.“
Ströter nickte und trank sein Bier aus.
Dabei lief ihm Schaum über die Mundwinkel.
„Wollt ihr meine Werkstatt sehen? Ich
bin Holzschnitzer.“
„Ihren Esel, den kleinen Balthasar,
habe ich schon bewundert“, sagte Klößchen mit todernstem Gesicht.
„Wen? Ach so. Jaja, das ist der erste
Esel, den ich geschnitzt habe.“
Nanu! dachte Tarzan. Gestern abend hat
er mir erzählt, daß er das Eselchen immer wieder schnitzt, weil es gern gekauft
werde. Was stimmt denn nun? Ist ja egal. Herr Ströter scheint ein bißchen wirr
zu sein in seinem voluminösen Haupt. Sicherlich zieht er sich von den Menschen
zurück und lebt hier als Einsiedler. Ein armer Hund!
Der ,arme Hund’ sprang jetzt auf — so
plötzlich, daß Oskar hochfuhr und kläffte.
„Halt die Klappe!“
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