Das Phantom auf dem Feuerstuhl
Orientierung.
Er holte auf. Einmal wäre er fast vom
Weg abgekommen. In letzter Sekunde riß er das Rad nach links.
Jetzt näherte Lincke sich dem Waldrand.
Tarzan begann zu spurten. Noch ein Stück bis zur Steinernen Rinne. Hier verlief
der Weg gerade.
Lincke hielt an, stellte Scheinwerfer
und Motor ab.
Tarzan stoppte sofort, blieb im Sattel
und setzte einen Fuß auf den Boden.
Die Stille summte in den Ohren.
Wo blieb Gaby?
Um Himmels willen! dachte er. Wenn sie
im Dunkeln gegen mich prallt... Sie sieht mich ja nicht.
Er zog die Taschenlampe hervor, drehte
sich um, schirmte den Glaseinsatz mit der Hand ab und knipste sie an.
Nur ein schwacher Schein wurde
sichtbar. Lincke sah ihn sicher nicht, aber Gaby mußte aufmerksam werden.
In dieser Sekunde ertönte der Schrei.
Es war Gaby.
Lautes Poltern folgte.
15. Großes Gelächter
Tarzan blieb fast das Herz stehen.
Gaby war gestürzt — ohne Zweifel.
Er hörte ihr Schluchzen, vergaß Lincke,
machte kehrt, hielt die Taschenlampe vor sich und jagte zurück.
Aber sie war sehr nahe. Kaum daß er
Fahrt draufhatte, mußte er wieder stoppen.
Der Schein der Lampe glitt über Gaby.
Sie saß mitten auf dem Weg. Das rechte Knie schimmerte hell durch ein
handtellergroßes Loch in der Hose. Gaby hatte die Hände auf den Boden gestemmt
und schüttelte den Kopf. Ihr Rad lag am Wegesrand.
Im nächsten Moment kniete Tarzan neben
ihr.
„Ist es schlimm? Tut es weh?“
„Ich blöde Gans!“ schluchzte sie. „Geschieht
mir recht. Jetzt vermassele ich alles. Ich bin ein Klotz am Bein — für dich.
Au! Tut das weh! Warum fahre ich nicht langsam! Nein, ich muß lossausen wie
eine Irre. Dabei hatte ich überhaupt keine Angst. Ich dachte nur: Was du
kannst, kann ich auch!“
„Kannste ja auch. Hast nur Pech gehabt.
Zeig’ mal dein Knie.“
Im Licht der Taschenlampe untersuchte
er es.
„Hat eine ganze Menge Haut abgeschürft.
Das schmerzt böse. Kannst du’s bewegen?“
„Klar. Gebrochen ist nichts. Gegen
Tetanus bin ich geimpft. Und bis zur Hochzeit sind die Narben weg. Aber das
Phantom ist auch weg. Ich habe dir alles verdorben.“
„Nichts hast du verdorben.“ Tröstend
legte er den Arm um ihre Schultern. „Ich pfeif’ doch auf den Kerl. Den kriege
ich schon noch. Kannst du aufstehen?“
Sie hielt sich an ihm fest, Tarzan zog
sie hoch und krümmte das Knie einige Male. Dann stand sie wieder so sicher wie
immer auf ihren hübschen Beinen.
„Hoffentlich ist mein Rad nicht kaputt!“
Tarzan bückte sich, um nachzusehen.
Im selben Moment sagte eine Stimme aus
der Dunkelheit: „He, was macht ihr denn da?“
Tarzan fuhr herum und hielt die
Taschenlampe vor sich. Der schwache Strahl traf auf Lincke.
Er stand auf dem Weg — im
Motorrad-Anzug und Helm —, hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt und kniff
jetzt die Augen zusammen.
„Mach’ die Funzel aus! Ich bin kein
Gespenst.“
„Aber Sie schleichen wie der Waldgeist
persönlich“, sagte Tarzan und senkte den Lichtstrahl zu Boden. „Haben Sie
zufällig ein Pflaster bei sich?“
„Wieso? Ist jemand verletzt?“
„Meine Freundin ist gestürzt und hat
sich das Knie aufgeschrammt.“
„Das kommt davon, wenn man im Dunkeln
durch den Wald fährt. Leider habe ich kein Pflaster — aber Verbandszeug im
Wagen, fällt mir ein.“
„Das wäre ja noch besser. Aber wieso,
Wagen? Sie sehen aus wie ein Motorradfahrer.“
„Mein Wagen steht in der Nähe“, sagte
Lincke. „Ich bin zwei- und vierräderig motorisiert. Wartet einen Moment!“
Sie hörten, wie seine Schritte sich
entfernten.
„Ach, herrje!“ wisperte Gaby.
„Nur keine Sorge! Jetzt läuft es eben
so.“
Tarzan sah nach Gabys Rad.
„Du meine Güte! Bist du gegen einen
Baum gerast? Das Vorderrad ist total verbogen. Alle Speichen im Eimer! Und die
Bereifung hängt daneben. Das... Mensch, Gaby!“ Er senkte die Stimme. „Mir kommt
eine Idee. Du kannst nicht laufen. Keinen Schritt! Klar? Er muß uns zur Stadt
fahren. Dann...“
Er sprach nicht weiter, denn Lincke
fuhr auf seinem Motorrad heran.
„Nun?“
„Meiner Freundin geht’s nicht besonders“,
sagte Tarzan. „Sie kann nur humpeln, wenn ich sie stütze. Ihr Rad ist völlig
kaputt. Aber wir müssen noch zur Stadt zurück. Wir haben einen weiten Ausflug
gemacht, und jetzt wird es höchste Zeit für uns. Wäre es sehr unbescheiden,
mein Herr, wenn wir Sie bitten, uns hinzufahren?“
Lincke seufzte abgrundtief. Und seine
Stimme klang nicht gerade begeistert, als er sagte:
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