Das Phantom auf dem Feuerstuhl
tiefstehende Sonne
vergoldete den Horizont. Mit Regen war nicht zu rechnen. Aber vielleicht wurde
es kühler.
Er zog einen leichten Pullover an und
steckte seine Taschenlampe ein — neidvoll von Klößchen beobachtet.
„Also, Willi, wenn ich zurückkomme,
bist du gesund. Falls es spät wird, muß ich mit der Strickleiter durchs
Fenster.“
Das war eine erprobte Methode, um
nachts das Haus zu verlassen. Allerdings mußte man vorsichtig sein. Die
Strickleiter gehörte Klößchen und war auf dem Speicher versteckt.
„Notfalls“, sagte Tarzan, „werfe ich
Steinchen ans Fenster. Also schlaf’ nicht zu tief.“
Dann ging er hinunter zur Besenkammer.
Der Flur war voller Schüler. Alles drängte zum Speisesaal, wo die Küchenhilfen
bereits große Teekannen austeilten und Platten mit belegten Broten. Fred, Ingo
und Hannibal wollten auf Tarzan warten. Aber er wehrte ab und sagte, er käme
nicht.
Als es auf dem Flur ruhiger wurde, zog
er sich in die Besenkammer zurück und wählte Herfurths Nummer.
Er hatte Glück. Der Vertreter meldete
sich.
„Ich bin’s“, sagte Tarzan, „Peter
Carsten. Sicherlich hängt es Ihnen inzwischen zum Hals ‘raus, daß wir dauernd
mit irgendwas kommen. Aber diesmal, Herr Herfurth, ist es ernst — und kein
Hirngespinst. Wir wissen jetzt, weshalb Sie draußen bei Klettenborn waren. Der
Bauer Weindl hat Claudia damals angefahren. Jetzt wurde auf seinem Hof Feuer
gelegt. Der Knecht des Bauern steht im Verdacht. Aber er hat nichts damit zu
tun, obwohl leider einige Umstände gegen ihn sprechen. Einen Hasen, Herr
Herfurth, haben Sie wahrscheinlich noch nie überfahren. Geschweige denn,
mitgenommen. Muß ich noch weiterreden?’’
Nur einen kurzen Moment war Stille in
der Leitung.
Als Herfurth dann redete, klang seine
Stimme fast heiter.
„Nein, Tarzan. Alles ist klar. Aber
über euch staune ich. Wie seid ihr dahintergekommen?“
„Es war eine Blitzidee. Sie ließ sich
leicht nachprüfen. Wir brauchten nur Weindls Tochter zu fragen.“
Herfurth seufzte. „Was ich getan habe,
ist Wahnsinn. Man darf sich nicht als Rächer aufspielen. Nicht, wenn etwas
anderes für Recht befunden wurde. Claudia sagt, sie sei schuldlos. Weindl
behauptet dasselbe. Ich glaube meiner Tochter. Daß er ungeschoren bleiben soll,
habe ich nicht hingenommen. Deshalb! Ich sage das, damit ihr mich versteht.
Vielleicht haben beide recht, sagen beide die Wahrheit. Es gibt Situationen, wo
man kaum noch trennen kann zwischen Schuld und Nichtschuld. Noch dazu bei einem
Verkehrsunfall. Ein halber Schritt, ein unbedeutender Schlenker mit dem Wagen —
das Unglück passiert. Aber man kann keinen verurteilen. So, Tarzan, denke ich
jetzt.“ Tarzan räusperte sich. „Ich kann Sie verstehen. Wir alle verstehen Sie.
Aber es ist ganz besonders toll, daß Sie sich zu Ihrer jetzigen Einstellung
durchgerungen haben.“
„Leider zu spät“, sagte Herfurth mit
leerer Stimme. „Ich kann nur versuchen, den Schaden wieder gutzumachen. Morgen
stelle ich mich der Polizei.“
„Großartig!“ rief Tarzan. „Wenn ich das
meinen Freunden erzähle, springen sie an die Decke. Daß Sie sich freiwillig
stellen und für den Schaden aufkommen — wollten wir Ihnen nämlich vorschlagen!
Denn, wissen Sie, Gabys Vater bearbeitet den Fall. Vielleicht haben Sie schon
von Kommissar Glockner gehört. Gaby versteht sich prima mit ihm. Nie würde sie
ihn belügen. Oder ihm was verheimlichen.“
„Das ist gut, aber leider selten
heutzutage.“
Mehr gab es nicht zu sagen. Tarzan trug
ihm Grüße für Claudia auf und verabschiedete sich.
Aufgekratzt verließ er die Telefonzelle
und rannte zu Klößchen hoch. Unbedingt mußte er ihm das erzählen!
Klößchen staunte und freute sich. Dann
wurde die Zeit knapp für Tarzan. Er sauste hinunter, in den Park, zur Mauer,
überzeugte sich, daß er unbeobachtet war, und hievte sein Rad hinüber.
Wenig später hatte er die
Zubringerstraße erreicht. Niemand begegnete ihm. Mit Höchstgeschwindigkeit
preschte er zur Stadt. Drei Minuten vor sieben stand er am City-Palast-Kino.
Der Film der 18-Uhr-Vorstellung lief,
ein Western mit John Wayne. Erst um 20 Uhr war die nächste Vorstellung. Jetzt
herrschte wenig Betrieb. Tarzan sah sich die Bilder im Aushang an. Dann spürte
er, daß jemand hinter ihm stand. Er roch Gabys Seife. Manchmal benutzte sie ein
Parfüm, das nach grünen oder frischen Äpfeln roch. Es hieß auch so ähnlich.
Dieser Duft umwehte ihn jetzt.
Von hinten wurde auf seine
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