Das Phantom im Netz
zuvorkommend wie die Amtsleiterin. Eines Tages kam eine Angestellte zu mir und sagte: »Ich habe einen Verwandten in Las Vegas, zu dem der Kontakt abgebrochen ist. Sie sind Privatermittler, und ich habe mich gefragt, ob sie mir vielleicht helfen könnten, ihn wiederzufinden.«
Sie gab mir alle Informationen, die sie hatte. In der Nacht führte ich in meinem Hotelzimmer eine Suchanfrage für Personen über die Datenbank eines Informationsdienstleisters aus, um die Adresse ihres Angehörigen zu finden. Dann rief ich die Betriebszentrale der örtlichen Telefongesellschaft an, um die geheime Telefonnummer zu bekommen. Keine große Sache. Es war ein gutes Gefühl, dieser Frau helfen zu können, weil alle dort so nett und hilfsbereit gewesen waren. Ich erwiderte damit ihre Freundlichkeit.
Als ich ihr am nächsten Morgen die Informationen übergab, war sie so begeistert, dass sie mich zum Dank umarmte und viel mehr Aufhebens darum machte, als ich für das bisschen Aufwand verdient hatte. Von da an wurden ihre Kollegen noch freundlicher, teilten ihre Donuts mit mir und erzählten Geschichten aus ihrem Leben.
Jeden Tag, während ich arbeitete, hörte ich, wie die Drucker in der Nähe die Urkunden ausdruckten, die angefordert worden waren. Der Lärm ging mir auf die Nerven. An meinem dritten Tag wollte ich mir nach stundenlangem Sitzen ein wenig die Beine vertreten und schlenderte zu den Druckern hinüber, um sie mir genauer anzusehen. Dabei fiel mir ein Stapel Kartons auf, der danebenstand. Als ich den Inhalt sah, fiel mir die Kinnlade herunter: Hunderte von Blankourkunden. Mir war, als hätte ich einen Piratenschatz gefunden, während ich zusah, wie die Urkunden aus dem Drucker liefen.
Und ich machte noch einen wertvollen Fund: Das Gerät, mit dem das offizielle Amtssiegel des Staates South Dakota eingeprägt wurde, stand neben dem Mikroficheraum auf einem langen Holztisch. Jeder Angestellte ging einfach nur zu diesem Tisch und stempelte jede Urkunde, bevor sie verschickt wurde.
Am nächsten Morgen schlug das Wetter um, und es gab ein Schneetreiben bei eisigen Temperaturen. Glücklicherweise hatte ich eine dicke Jacke angezogen, bevor ich zum Melderegister aufgebrochen war. Als die meisten Angestellten nicht im Büro waren oder mit Essen und Schwatzen beschäftigt waren, legte ich mir die Jacke über den Arm und schlenderte zu den Toiletten. Dadurch fand ich unauffällig heraus, wo sich die restlichen Angestellten aufhielten und wie abgelenkt oder aufmerksam sie waren. Auf dem Rückweg zum Mikroficheraum kam ich an dem Tisch vorbei, auf dem der Siegelstempel stand. Mit einer geschmeidigen Bewegung und ohne langsamer zu werden, schnappte ich ihn, versteckte ihn unter meiner Jacke und ging in meinen Arbeitsraum zurück. Von drinnen warf ich einen Blick zur Tür hinaus: Keiner hatte auf mich geachtet.
Nachdem ich nun den Siegelstempel und die Blanko-Urkunden beisammenhatte, bedruckte ich so schnell und leise wie möglich die Urkunden mit dem Staatssiegel. Ich hatte Mühe, meine Angst unter Kontrolle zu bekommen. Wenn jemand hereinkam und mich erwischte, würde man mich wahrscheinlich verhaften und wegkarren.
Fünf Minuten später hatte ich um die 50 gestempelte Blankourkunden. Auf dem Weg zurück zu den Toiletten stellte ich den Stempel wieder an genau die Stelle zurück, von der ich ihn »ausgeliehen« hatte. Auftrag ausgeführt. Ich hatte eine gefährliche Aufgabe erfolgreich erledigt.
Schließlich steckte ich die gestempelten Urkunden in mein Notizbuch und ging nach Feierabend damit zur Tür hinaus.
Am Ende der Arbeitswoche hatte ich alle nötigen Informationen für zahlreiche Identitäten. Danach musste ich nur noch das Einwohnermeldeamt des Staates anschreiben, in dem das Kind geboren wurde, und eine Kopie der Geburtsurkunde des Verstorbenen anfordern. Damit konnte ich mein neues Ich erschaffen. Außerdem hatte ich 50 Blankogeburtsurkunden, jede davon sorgfältig mit dem Siegel des Staates South Dakota versehen. (Jahre später, als das FBI mir zurückgab, was die Agenten beschlagnahmt hatten, bekam ich aus Versehen auch die gestempelten Geburtsurkunden aus South Dakota zurück. Alex Kasperavicius, der die Sachen für mich abholte, war so freundlich, sie darauf hinzuweisen, dass sie das nicht wirklich tun wollten.)
Den Mitarbeitern des staatlichen Melderegisters tat es leid, als ich ging: Ich hatte einen so guten Eindruck hinterlassen, dass ein paar Frauen mich zum Abschied sogar umarmten.
Am Wochenende fuhr ich
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