Das Phantom im Netz
und sagte: »Mein Chef möchte selbst mit Ihnen sprechen«. Er gab mir Namen und Mobilnummer.
Ich rief also Eds Vorgesetzten an und ging die ganze Geschichte noch einmal durch, wobei ich ein paar Details zu dem Projekt hinzufügte, an dem ich angeblich arbeitete, und betonte, mein Team müsse unbedingt den festgelegten Termin einhalten. »Es wäre viel einfacher, wenn jemand einfach hochgeht und meine SecurID holt«, schlug ich vor. »Mein Schreibtisch ist nicht verschlossen, und sie liegt sicher da, im Schubfach links oben.«
»Wissen Sie«, sagte der Chef, »übers Wochenende können Sie, denke ich, die SecurID vom NOC benutzen. Ich informiere meine Mitarbeiter, dass es in Ordnung geht, Ihnen den Code zu geben, wenn Sie anrufen.« Dazu sagte er mir noch seine PIN durch.
Das ganze Wochenende über konnte ich also, wenn ich mich in Motorolas internes Netzwerk einwählen wollte, ganz einfach beim Network Operations Center anrufen und die Person am anderen Ende bitten, die sechs Ziffern auf der SecurID abzulesen.
Aber ich hatte es noch nicht geschafft. Als ich mich in Motorolas Terminalserver einwählte, waren die Systeme der Mobilfunkabteilung, an die ich ja eigentlich heranwollte, nicht verfügbar. Ich musste einen anderen Zugang finden.
Der nächste Schritt verlangte Chuzpe: Ich rief noch einmal bei Walsh im Network Operations Center an und beschwerte mich: »Keines unserer Systeme ist vom Einwahlserver erreichbar, also bekomme ich keine Verbindung. Könnten Sie mich für einen Account von einem Rechner des NOC freischalten, damit ich mich mit meinem Rechner verbinden kann?«
Eds Chef hatte ja schon erlaubt, mir den Zifferncode von der SecurID durchzugeben, also erschien diese neue Bitte nicht unangemessen. Walsh änderte vorübergehend das Passwort seines eigenen Accounts auf einem der NOC-Rechner und gab mir die Login-Informationen. Dann sagte er noch: »Rufen Sie mich an, wenn Sie es nicht mehr brauchen, dann kann ich mein Passwort wieder ändern.«
Ich versuchte, mich in ein System der Cellular Subscriber Group einzuloggen, wurde aber immer wieder abgeblockt. Offenbar hatten sie alle eine Firewall. Ich durchstöberte Motorolas Netzwerk und gelangte schließlich an ein System, in dem es einen Gastaccount gab – die Tore standen offen, und ich konnte mich einloggen. (Zu meiner Überraschung erkannte ich in dem System eine NeXT-Workstation, produziert von der kurzlebigen Firma, die Steve Jobs gründete, bevor er zu Apple zurückkehrte.) Ich lud die Passwort-Datei herunter und knackte das Passwort von jemandem, der Zugang zu dem Rechner hatte, einem Typen namens Steve Urbanski. Mein Passworthacker brauchte nicht lange: Der Nutzername, mit dem er Zugang zum NeXT-Rechner herstellte, lautete »steveu« und als Passwort hatte er »mary« gewählt.
Ich versuchte sofort, mich von der NeXT-Workstation beim Host »lc16« in der Cellular Subscriber Group einzuloggen, aber das Passwort funktionierte nicht. Großer Mist!
Na schön. Die Informationen zu Urbanskis Authentifizierung würden mir trotzdem noch nützlich sein. Ich benötigte aber nicht seinen NeXT-Account, sondern das Passwort für den Server der Cellular Subscriber Group, auf dem der Quellcode zu finden war, an den ich gelangen wollte.
Ich suchte mir Urbanskis Privatnummer heraus und rief an. Ich behauptete, ich sei vom NOC, und verkündete: »Wir haben einen massiven Festplattenfehler. Gibt es Dateien, die Sie wiederhergestellt haben müssen?«
Und ob es die gab!
»Das können wir frühestens am Donnerstag machen«, sagte ich ihm. Das bedeutete, er würde drei Tage ohne seine Dateien sein. Ich hielt das Telefon vom Ohr weg, weil ich mich auf einen Wutanfall gefasst machte.
»Ich verstehe ja«, sagte ich mitfühlend. »Ich nehme mal an, ich kann da eine Ausnahme machen und Sie voranstellen, wenn Sie es niemandem weitersagen. Wir richten den Server auf einem brandneuen Rechner ein, und ich muss Ihr Nutzerkonto in dem neuen System wiederherstellen. Ihr Benutzername ist ›steveu‹, richtig?«
»Ja«, sagte er.
»Gut, Steve, suchen Sie sich ein neues Passwort aus.« Und dann, als sei mir etwas Besseres eingefallen: »Ach, keine Umstände, sagen Sie mir einfach Ihr aktuelles Passwort, und ich stelle es darauf ein.«
Das machte ihn natürlich misstrauisch. »Wer sind Sie noch mal?«, wollte er wissen. »Für wen arbeiten Sie, sagen Sie?«
Ich wiederholte, was ich ihm schon anfangs erzählt hatte. Ganz ruhig und gelassen, als würde mir das
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