Das Phantom im Netz
nur herausfinden, wie es hier eigentlich zu laufen hatte, sondern ich konnte auch nach Schlupflöchern und Fehlern suchen. Ich stürzte mich darauf.
Mein neuer Betreuer unterhielt sich ein paar Mal mit mir und sprach dann die Empfehlung aus, mich nach Preston zu schicken, das übelste Jugendgefängnis in Kalifornien, wo die gefährlichsten und brutalsten Jugendlichen hinkamen. Wahrscheinlich schickte er mich dorthin, weil ich einer der wenigen »bürgerlichen« Kriminellen war, die jemals in die Mühlen der Jugendgerichtsbarkeit geraten waren.
Ein Grund für die Entscheidung des Betreuers, so sagte er mir, war die große Entfernung – Preston lag sieben oder acht Autostunden entfernt, sodass meine Mutter und meine Oma mich nur sehr selten würden besuchen können. Vielleicht sah er in mir auch nur den Jungen aus der Mittelschicht, der all diese Chancen gehabt hatte, die keiner der harten Jungs aus der City jemals bekommen würde, und der trotzdem keinen College-Abschluss gemacht und keinen gut bezahlten Job gefunden, sondern sich nur einen Haufen Ärger eingehandelt hatte … Vielleicht sollte mich meine Angst während des Aufenthalts an diesem gefährlichen, erbarmungslosen Ort auf den »rechten Weg« führen. Oder der Typ war einfach ein bösartiger Arsch, der seine Macht missbrauchte.
Aber nicht mit mir. In den Handbüchern der Jugendbehörde fand ich eine Liste der Faktoren, die bei der Wahl einer Hafteinrichtung für Jugendliche berücksichtigt werden müssen. Jugendliche sollten möglichst heimatnah untergebracht werden. Wer einen Highschool-Abschluss oder einen gleichwertigen Abschluss hatte, sollte in einer Einrichtung untergebracht werden, in der es Studienprogramme gab – und das hatte Preston schon mal nicht. Die Hafteinrichtung sollte entsprechend der Gewaltbereitschaft und der Fluchtgefahr gewählt werden. Das übergeordnete Ziel, so stand im Handbuch zu lesen, war die Rehabilitation. Super.
Ich kopierte diese Seiten.
Auch die Abschnitte über das Beschwerdeverfahren waren hochinteressant: Ein Häftling konnte eine Reihe von Anhörungen beantragen, an deren Ende ein unabhängiger Schlichter die Fakten beurteilte und eine bindende Entscheidung traf.
Ich durchlief alle Phasen dieses Anhörungsprozesses. Schließlich präsentierten gleich fünf Mitarbeiter der Jugendbehörde ihre Seite des Falles dem unabhängigen Schlichter und belegten ihre Argumente mit Kopien aus ihren Verfahrenshandbüchern.
An sich keine schlechte Taktik. Nur leider beriefen sie sich auf eine veraltete Ausgabe des Handbuchs, dessen Vorgaben sehr viel ungünstiger für mich waren, und ich wusste das.
Dann war ich an der Reihe. »Ich möchte Ihnen gerne die aktuell gültige Neuauflage des Handbuchs zeigen, die man Ihnen bisher vorenthalten hat«, erklärte ich und versicherte eindringlich, ich wolle mich rehabilitieren.
Der Schlichter verglich das Datum auf den Kopien, die mein Betreuer eingereicht hatte, mit dem Datum auf meinen Kopien. Und dann zwinkerte er mir tatsächlich zu.
Er ordnete an, mich in eine Einrichtung mit einem Studienprogramm zu überstellen, und so wurde ich in die Karl-Holton-Haftanstalt in Stockton, östlich von Los Angeles, geschickt. Das war immer noch ziemlich weit weg von zu Hause, aber ich hatte das Gefühl, gewonnen zu haben, und ich war sehr stolz auf mich. Rückblickend erinnert mich das Ganze an einen Song von Tom Petty: »You could stand me up at the gates of hell but I won‘t back down.« (»Ihr könnt mich vor das Tor zur Hölle stellen, aber ich gebe nicht auf.«)
Das Karl-Holton-Gefängnis kam mir vor wie das Holiday Inn der Jugendbehörde. Es ließ sich dort ganz gut leben, und das Essen war auch ganz passabel. Obwohl die Fahrt fünf Stunden dauerte, besuchten mich meine Mutter und meine Oma jedes zweite Wochenende und brachten auch immer etwas zu essen mit. Wir grillten Steaks oder Hummer wie normale Leute, und Mutter und ich liefen im Gartenteil des Besucherbereichs herum und suchten nach vierblättrigem Klee. Diese Besuche verkürzten meine gefühlte Haftzeit erheblich.
Die Betreuer tauchten ab und zu auf, um mit den Eltern zu reden, und meiner war zu Mutter immer besonders nett.
Andere Aspekte meines Aufenthalts waren nicht so angenehm. Wir durften z. B. nur Einwegrasierer benutzen, die mir ständig die Haut zerkratzten, also hörte ich auf, mich zu rasieren. Ich bekam einen ganz ansehnlichen Vollbart, der mein Aussehen komplett veränderte. Aber ich hatte ihn nur während der
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