Das Phantom im Netz
Spaß machte, schien für ihn keinen Sinn zu ergeben.
Da er nicht kapierte, was ich in den Computern und Telefonsystemen, in die ich mich einhackte, eigentlich machte, ging er einfach davon aus, dass er nicht alle Fakten kannte. Vielleicht machte ich ja auf eine geheime hochtechnische Art und Weise doch Geld damit. Auf jeden Fall wirkte die ganze Sache verdächtig für ihn.
In Wirklichkeit hatte ich für meine Einbrüche in das Telefonsystem denselben Grund, aus dem andere Jugendliche in ein leer stehendes Haus einbrechen: Ich wollte mich einfach mal dort umsehen. Meine Neugier war einfach zu groß. Klar war es gefährlich, aber das Risiko war Teil des Vergnügens.
Dies war der erste Hacker-Fall, der jemals verhandelt wurde. Daher herrschte einige Verwirrung darüber, welche Vorwürfe genau die Staatsanwaltschaft gegen mich erheben konnte. Die Anklagepunkte, die meine Einbrüche bei der Telefongesellschaft betrafen, waren durchaus berechtigt. Andere waren völlig aus der Luft gegriffen. Die Anklage behauptete, ich hätte beim Einhacken das Computersystem von US Leasing beschädigt. Das stimmte nicht, aber dieser Vorwurf wurde immer wieder gegen mich erhoben.
Das Jugendgericht überstellte mich für 90 Tage in die Auffangeinrichtung der kalifornischen Jugendbehörde in Norwalk, um ein psychologisches Gutachten machen zu lassen. Man wollte feststellen, ob eine Haftstrafe in einer Einrichtung der Jugendbehörde für mich infrage kam. Ich hatte noch nie solche Angst gehabt. Meine Mithäftlinge saßen wegen Körperverletzung, Vergewaltigung, Mord oder Bandenüberfällen ein. Es waren Jugendliche, klar. Aber die Tatsache, dass sie sich unbesiegbar fühlten, machte sie umso gefährlicher.
Jeder wurde in eine separate Zelle eingeschlossen, die wir täglich für nur drei Stunden in kleinen Gruppen verlassen durften.
Ich schrieb jeden Tag einen Brief nach Hause, und jeder begann mit »Geiselhaft von Kevin Mitnick – Tag 1«, »Tag 2«, »Tag 3«… Norwalk gehört zwar noch zum Verwaltungsbezirk von Los Angeles, aber meine Mutter und meine Oma waren doch jedes Mal eineinhalb Stunden mit dem Auto unterwegs. Ich hatte ihre Loyalität nicht verdient. Trotzdem kamen sie mich jedes Wochenende besuchen und brachten mir etwas zu essen. Sie fuhren so früh von zu Hause los, dass sie immer die Ersten am Tor waren.
Meinen achtzehnten Geburtstag verbrachte ich in Norwalk. Damit war ich kein Minderjähriger mehr, auch wenn die Jugendbehörde noch einige Zeit für mich zuständig sein würde. Für jedes weitere Vergehen würde ich als Erwachsener behandelt werden und konnte bei einer Verurteilung ins Gefängnis wandern.
Nach Ablauf der 90 Tage empfahl die Jugendbehörde meine Entlassung auf Bewährung, und der Richter folgte dieser Empfehlung.
Als Bewährungshelferin wurde mir Mary Ridgeway zugewiesen, eine außerordentlich fettleibige Frau, die wohl keine andere Freude im Leben hatte außer Essen und ihre Schutzbefohlenen fertigzumachen. Eines Tages funktionierte ihr Telefon plötzlich nicht mehr. Die Leitung wurde repariert, aber der Grund für den Ausfall konnte nicht gefunden werden. Mary nahm an, dass ich dahinterstecken musste, und machte einen entsprechenden Vermerk in meiner Akte. Später wurde ihre Verdächtigung als Beweis gegen mich verwendet. Damals wurden technische Fehler, die sich keiner erklären konnte, sehr oft einfach mir in die Schuhe geschoben.
Neben der Bewährungshilfe bekam ich auch noch eine Psychotherapie. Man schickte mich in eine Klinik, in der Sexualstraftäter und Schwerstabhängige behandelt wurden. Mein Therapeut war ein Arzt im Praktikum aus Großbritannien namens Roy Eskapa. Als ich ihm erzählte, dass ich wegen Phone Phreaking auf Bewährung sei, leuchteten seine Augen auf. »Sagt dir ITT etwas?« (ITT steht für International Telephone and Telegraph.)
»Natürlich«, sagte ich.
»Weißt du, wie ich an Codes rankomme?«
Er fragte mich nach ITT-Zugangscodes. Mit einem solchen Zugangscode konnte man einfach eine lokale ITT-Zugangsnummer anrufen und den Code gefolgt von der gewünschten Fernwahlnummer eintippen. Wenn man den Zugangscode von jemand anderem benutzte, bekam der arme Kerl die Rechnung für das Telefonat, und man selbst bezahlte keinen Cent.
Ich lächelte. Roy und ich würden hervorragend miteinander auskommen.
In meiner gerichtlich angeordneten Therapie von 1981 bis 1982 haben wir praktisch nur miteinander geplaudert und wurden gute Freunde. Roy meinte, das, was ich getan hatte,
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