Das Phantom im Opernhaus
»In der Oper wird mit großem Respekt von ihm gesprochen. Gleichzeitig klingt durch, dass er als wichtigster Geldgeber wohl auch mal die Daumenschrauben anzieht, wenn ihm etwas oder jemand gegen den Strich geht. Wie dem auch sei: Er könnte euch mit seinem Insiderwissen über die Strukturen des Opernbetriebs vielleicht helfen.«
Katinka beobachtete einen Orang-Utan dabei, wie er mit gespreizten Fingern sein rötliches Haupthaar kämmte und sie dabei mit nachdenklichem Blick ansah. »Ascherl, ja, bei dem werden wir wahrhaftig bald vorsprechen müssen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er über alle relevanten Intrigen an der Oper bestens informiert ist. Aber das wird nicht leicht, denn es ist mit großen Widerständen zu rechnen. Das ist immer so bei Männern seines Kalibers. Die lassen sich nun mal nicht gern in die Karten schauen.«
»Was hat er denn für ein Kaliber?«, wollte Paul wissen.
»Ascherl gilt als aufbrausend und geht im Geschäftsleben – wie man so schön sagt – über Leichen. Mit seinen Teppichläden hat er ein Millionenvermögen angehäuft. Aber dieses Business war ihm immer zu profan. Daraus erklärt sich sein Engagement für die hohe Kultur. Die Nürnberger Oper betrachtet er als seinen Privatbesitz«, sagte sie mit deutlich vernehmbarem Missfallen.
»Das heißt, dass er seinen Einfluss mit allen Mitteln geltend macht«, brachte Paul es auf den Punkt und dachte an die ehrfurchtsvollen Worte Paula Dorfners über den Mäzen. Prompt verschluckte er sich heftig. Denn schlagartig fiel ihm ein beinahe vergessener Vorfall ein: Auf dem Programmheft, das er heimlich aus Klingers Jackett genommen hatte, war die Abkürzung »E.A.« vermerkt gewesen. Die Initialen von Ascherl!
»Warum bist du denn mit einem Mal so blass?«, erkundigte sich Katinka besorgt und klopfte dem noch immer hustenden Paul auf die Schulter.
Paul erklärte es Katinka und handelte sich eine Schelte dafür ein, dass er mal wieder nicht an sich halten konnte und rechtswidrig in Klingers Büro eingedrungen war. »Außerdem hättest du mir das alles schon viel früher sagen müssen«, sagte sie und sah ihn missbilligend an. »Lernst du denn nie dazu, Paul? Im Grunde genommen müsste ich dich fortwährend wegen Behinderung der Justiz drankriegen.«
»Ich bewerte das eher als Unterstützung der Justiz. Immerhin habe ich vielleicht einen Hinweis auf den Täter geliefert und hätte eine Belohnung verdient.«
»Belohnung? So weit kommt’s noch!« Katinka, nun schon wieder freundlicher gestimmt, stupste ihn an. »Zieh keine voreiligen Schlüsse. Es lässt sich zwar nicht abstreiten, dass Ascherl mehr Einfluss auf das Opernprogramm ausüben möchte. Mit dem jetzigen Generalmusikdirektor liegt er wegen künstlerischer und personalpolitischer Meinungsverschiedenheiten oft im Clinch.«
»Aber?«
»Es gibt kein Aber. Denn es liefert beileibe keinen ausreichenden Grund für einen oder sogar zwei Morde, wenn jemand nicht zufrieden mit dem Spielplan einer Bühne ist.«
»Wenn ich Millionen in ein Theater stecken würde, das Stücke aufführt, die mir nicht passen, würde mich das zumindest sehr ärgern«, gab Paul zu bedenken. »Und wenn ich dann auch noch jähzornig und leicht aufbrausend wäre, dann …«
Katinka verzog den Mund. »Okay, ich gebe dir insofern recht, als Ascherl auf bisweilen aggressive Art versucht, Lobbyarbeit zu leisten. Er bemüht sich um Gleichgesinnte, die seinen Geschmack teilen und ähnliche Aufführungen umsetzen wollen wie er. Dabei scheut er nicht davor zurück, seinen gesellschaftlichen und politischen Einfluss geltend zu machen, um hin und wieder Posten und Rollen mit eigenen Kandidaten neu zu besetzen.«
»Waren Baumann und Klinger denn Männer, die seinen Geschmack teilten?«, bohrte Paul nach.
Katinka zuckte die Schultern. »Über Baumann kann ich mir kein Urteil erlauben. Aber von Klinger weiß ich, dass er eine eigene Linie fahren wollte. Er strebte danach, sich freizumachen von den Zwängen eines einseitigen Sponsorings.«
»Na also!«, meinte Paul triumphierend.
Katinka sah ihn ebenso liebevoll wie mitleidig an. »Wenn es so einfach wäre, Paul. Wenn es so einfach wäre …«
Nach ihrem ausgiebigen Bummel über das weitläufige Gelände kehrten sie in der Waldschänke, dem urig rustikalen Tiergartenrestaurant, ein und himmelten sich über ihre Milchkaffeetassen hinweg an. So einvernehmlich waren sie schon lange nicht mehr beieinander gewesen, dachte Paul zufrieden.
Katinka hob immer wieder ihre
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