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Das Phantom im Opernhaus

Das Phantom im Opernhaus

Titel: Das Phantom im Opernhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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aufschwingen. Er steuerte die schmale Leiter neben der Vorbühne an und erklomm die Sprossen bis hinauf auf die Galerie. Dicht am Handlauf entlang ging er weiter und stellte fest, dass Hannah nicht ganz unrecht gehabt hatte. Es war wirklich verdammt hoch und nur etwas für Schwindelfreie.
    Paul vermied es, nach unten auf die Bühne zu schauen, wo die Bühnendekoration spielzeughaft klein geworden war. Tapfer setzte er seinen Weg auch dann noch fort, als der metallische Handlauf einem Seil wich, das kaum mehr Halt bot.
    Er brauchte länger als erwartet, bis er die Stelle erreichte, an der er den Chefbeleuchter gesehen hatte: unmittelbar an den Prospektzügen, deren Stahlseile sich hinter Paul spannten. Er sah sich um. »Hans-Peter?«, rief er. Glück war jedoch nirgends zu sehen. Ob er schon wieder gegangen war, fragte sich Paul. Aber er musste doch mitbekommen haben, dass Paul zu ihm hochkommen wollte! Wenn er einfach verschwunden war, war das nicht besonders nett.
    Paul vergewisserte sich, dass er an der richtigen Stelle stand, denn das Obergeschoss des Bühnenhauses war nicht nur ziemlich dunkel, sondern auch unübersichtlich. Es könnte ja sein, dass Paul den falschen Arbeitssteg genommen hatte und Glück doch woanders auf ihn wartete. Aber Pauls Rufe hätte er ja trotzdem hören müssen. Und da wäre es höflich gewesen, wenigstens zu antworten.
    »Hans-Peter!«, rief Paul noch einmal. »Glück! Wo steckst du?«
    Das letzte Wort war kaum verklungen, als er auf ein sirrendes Geräusch aufmerksam wurde. Es war wie ein heller, metallischer Gesang. Paul drehte sich nach der Geräuschquelle um. Die schnell lauter werdenden Töne kamen von den Seilzügen. Paul erkannte, dass sich einige von ihnen in vibrierende Bewegung gesetzt hatten. Und eines der Stahlseile direkt vor ihm rasselte mit großer Geschwindigkeit nach unten. Es musste gerissen sein! Bevor Paul ganz begriff, was vor sich ging, rauschte das lose Ende des Seils auf ihn zu.
    Die Erkenntnis kam zu spät, um sich noch in Sicherheit zu bringen! Mit einem peitschenden Knall schlug das Seil wenige Zentimeter neben ihm auf dem schmalen Laufsteg auf und brachte die Galerie zum Schwingen. Paul, zu Tode erschrocken, machte einen falschen Schritt und geriet ins Stolpern. Die Sohlen seiner Schuhe hatten nicht das richtige Profil, um auf der immer stärker wankenden Arbeitsbühne das Gleichgewicht zu halten. Ehe er sich versah, zog es ihm die Füße weg. Paul landete hart auf dem Laufbrett, rutschte weiter und kippte kopfüber in die Tiefe.
    Im Fallen riss er beide Arme nach oben, bekam gerade noch das Halteseil des Handlaufs zu fassen und klammerte sich mit aller Kraft daran fest. Pauls Atmung ging stoßartig, als er versuchte, sich zurück auf den Steg zu hieven. Doch mit jedem Schwung, den er nahm, brachte er den schwebenden Gang nur noch stärker zum Pendeln.
    Paul baumelte über dem klaffenden Abgrund – und seine Kraftreserven schwanden von Sekunde zu Sekunde.
    »Hilfe.« Er stöhnte mehr, als dass er schrie. »Ich brauche Hilfe!«
    Seine Hände schmerzten, weil das Seil in seine Haut schnitt. Die Muskeln seiner Oberarme begannen zu zittern. Aber er musste durchhalten. Er musste! Paul nahm einen weiteren Anlauf, sich hochzuschwingen, doch er scheiterte kläglich.
    Der Verzweifelung nah, rief er noch einmal um Hilfe. Und endlich, nach schrecklichen Sekunden, kam die Rettung. Jemand näherte sich mit flinken und entschlossenen Schritten. Das musste Hans-Peter sein. Gott sei Dank!
    Paul war am Ende seiner Kräfte, als er die Hand ergriff, die ihm gereicht wurde. Mit einer letzten gewaltigen Anstrengung gelang es ihm, seine 80 Kilo auf die Galerie zurückzuwuchten. Auf dem Bauch blieb er liegen und schnappte nach Luft. Kaum hatte sich sein Puls einigermaßen beruhigt, richtete er seinen Oberkörper auf, um seinem Retter zu danken.
    Doch da war niemand mehr.
    Paul rieb sich die Augen. »Hans-Peter?« Er wandte den Kopf. Der Steg war leer. Weder links noch rechts eine Menschenseele! Was sollte denn das nun wieder? Warum war Glück so schnell verschwunden?
    Mühsam kam Paul wieder auf die Beine. Mit beiden Händen am Handlauf trat er den Rückweg an. »Hans-Peter?«, fragte er noch einmal, diesmal aber leiser.
    Als er die Leiter hinter sich gelassen und endlich wieder festen Bühnenboden unter den Füßen hatte, war er sich einen Moment lang nicht sicher, ob er ab sofort an Geister glauben sollte. Oder an Phantome. Denn was er soeben erlebt hatte, würde er keinem

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