Das Phantom im Opernhaus
Hand, um den Ring an ihrem Finger zu betrachten. Sie freute sich, sagte aber nichts mehr dazu. Obwohl es jetzt viele Fragen zu stellen und zu beantworten gäbe, hielt sie sich zurück. Auch Paul wollte den Moment des unbeschwerten Glücks genießen, ohne die traute Zweisamkeit durch eine konkrete Zukunftsplanung zu stören. Überlegungen wie die, ob sie ihre getrennten Wohnungen nun aufgeben und zusammenziehen würden, klammerte er vorerst aus. Auch Katinka schien es so halten zu wollen. Man sollte nichts überstürzen.
Schließlich öffnete Katinka ihre Handtasche und nahm eine sorgsam gefaltete Tageszeitung heraus. Mit den Worten »Damit du dich ohne mich nicht langweilst« legte sie ihm die Zeitung auf die Sitzbank. Als sie ihm gleich darauf einen Abschiedskuss auf die Wange drückte, weil sie zurück ins Oberlandesgericht musste, sah Paul ihr nach und schwelgte noch eine Weile in süßen Gedanken.
Daraus löste er sich jedoch abrupt, als er beim Durchblättern der Zeitung im Wirtschaftsteil hängen blieb. Dort war ein prominent platzierter Dreispalter keinem Geringeren als Eduard Ascherl gewidmet. Ein willkommener Zufall, der aber auch nur aufs Neue bewies, welchen Status Ascherl in der Stadt besaß. Paul verschlang jede Zeile des sehr aufschlussreichen Berichts und erfuhr, dass der Kaufmann mit massiven finanziellen Problemen zu kämpfen hatte. Diese waren nicht zuletzt dadurch verursacht worden, dass Ascherl viel Geld in eine Werbekampagne gesteckt hatte, in der er für sein klassisches Teppichsortiment mit Bild- und Themenmotiven der Oper werben wollte. Diese bundesweit geplante Marketingstrategie drohte zu scheitern, nachdem von Seiten des Nürnberger Opernhauses urheberrechtliche Bedenken angemeldet worden waren.
Paul legte die Zeitung beiseite und versuchte, seine Schlüsse aus dieser neuen Information zu ziehen. Wenn es Klinger in seiner Funktion als Marketingchef gewesen war, der Ascherl diesen Knüppel zwischen die Beine geworfen hatte, dann stellte der Teppichhändler nicht nur eine Randfigur dar, sondern einen Tatverdächtigen mit handfestem Motiv. Ob Katinka diese Hintergründe schon kannte?
Ja, sicher, beantwortete er sich diese Frage selbst. Denn es war wohl doch kein Zufall, dass sie ihm ausgerechnet diese Zeitung dagelassen hatte. Sie wollte ihm damit zu verstehen geben, dass sie durchaus selbst in der Lage war, Spuren zu erkennen und Verdächtige zu finden, auch wenn er permanent meinte, ihr auf die Sprünge helfen zu müssen. Paul biss sich auf die Unterlippe; Katinkas Botschaft war angekommen.
13
Hannah erklärte sich dazu bereit, Pauls Wissenslücken über die Welt der Oper und Operette zu füllen, nahm ihm im Gegenzug aber ein Versprechen ab: Sie wollte ihn hinter die Kulissen des Schauspielbetriebs begleiten und, wenn möglich, die eine oder andere Bühnengröße persönlich kennenlernen. »Am liebsten Irena«, schwärmte sie, und Paul hoffte, dass sie von der arg mitgenommenen Sopranistin in natura nicht allzu enttäuscht sein würde. »Und Britta Kistner«, ergänzte Hannah überraschenderweise die Liste ihrer Lieblinge. »Ich habe sie neulich in Don Giovanni gesehen und bin begeistert. Sie ist jung, frisch und besitzt das nötige Feuer, um mal ein ganz großer Star zu werden!«
»Also gut«, sagte Paul zu. »Ich werde sehen, was sich machen lässt. Aber erst mal bist du dran. Stichwort Don Giovanni: Was kannst du mir darüber sagen?«
Hannah streckte sich auf dem Sofa in Pauls Atelier aus, als wäre sie bei sich zuhause. »Dramatisch, düster, leidenschaftlich. Mozarts Meisterwerk um einen skrupellosen Frauenhelden und Lebemann, der im Höllenfeuer endet. Das ist fast ein Psychothriller. Wolfgang Amadeus war in absoluter Höchstform, als er diese Oper komponierte. Und Britta war in ihrer Rolle als Donna Anna brillant: hingebungsvoll und gleichzeitig verletzlich, einfach absolut authentisch!«
»Okay. Verstanden. Bleiben wir für den Anfang bei Mozart. Was hast du noch zu bieten?«
»Wie wäre es mit der Zauberflöte? Das musst du dir als eine Art Highschool Musical vorstellen, ein Singspiel – mit vielen klassischen Hits. Deshalb wird das Stück heute oft für jugendliches Publikum gespielt.« Sie hob ihre Beine, ließ die Zehen wackeln und suchte nach einem weiteren Beispiel. »Nun noch etwas, das auch schon in Nürnberg gespielt wurde: Tosca von Giacomo Puccini. Alle großen Sängerinnen haben sich an der Divarolle versucht – auch Irena: Dies sind die Küsse von Tosca! Aber
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