Das Phantom im Opernhaus
Lippen. »Na, sicher! Was denken Sie denn? So was kann man ja nicht bei IKEA kaufen.«
»Dann haben Sie ja einen ganz schönen Durchlauf.«
»Haben wir. Fünf, sechs komplette Bühnenbilder in der Saison sind das Minimum.«
»Stammen auch die alten Kulissen aus Ihrer Werkstatt?«
»Was meinen Sie genau? Die letzten 25 Jahre hatte ich jedenfalls die Hand drauf. Da habe ich den Regisseuren Manieren beigebracht. Habe ihnen gesagt, was geht und was nicht geht. Habe ihnen die Flausen ausgetrieben. Jetzt denken Sie aber nicht, dass meine Bühnenbilder einfallslos sind! Nein, nein! Es stecken jedes Mal viele Ideen darin. Viel Kreativität. Kein Bühnenbild ist so wie das vorherige.«
»Und wenn sich mal etwas wiederholt? Etwa bei der gleichen Aufführung, die wegen des großen Erfolges ein paar Spielzeiten später wieder aufgenommen wird?«
»Das ist ja bei fast allen Klassikern der Fall. Aber: nein. Jede Inszenierung bekommt ihr eigenes, charakteristisches Szenenbild. Da wird so gut wie nichts recycelt. Außer vielleicht bei Dauerbrennern wie Schweig, Bub! ,Sie wissen schon, das Mundartschauspiel.«
»Dann werden die Ansprüche wohl immer höher und Ihr Aufwand größer?«, wollte Paul wissen.
»Nicht unbedingt. Manche wollen ganz einfache Dinge ohne viel Brimborium. Sie nennen das dann puristisch. Da reichen ein schwarzer Vorhang im Hintergrund, ein Stuhl und eine Stehlampe. Klinger hat solche Bühnenbilder bevorzugt.« In abfälligem Ton erklärte er: »Wohl kaum aus künstlerischen Gründen, sondern weil er sparen wollte. Er war ja scharf auf den Posten des Geschäftsführenden Direktors. Dafür wollte er sich beizeiten lieb Kind bei den Trägern machen und hat bei uns geknapst, wo es nur ging. Wir beide sind deshalb hin und wieder mächtig aneinandergeraten. Ich lasse mir nicht die Butter vom Brot nehmen.«
»Apropos Klinger.« Endlich gelang Paul der Schwenk zu dem Thema, das ihn eigentlich bewegte: »Die Kulissenteile, in denen die Toten gefunden wurden, haben ja eine ganz besondere Bedeutung gewonnen. Die Polizei geht inzwischen davon aus, dass die Fundorte eine Symbolik beinhalten, dass sie einer bewussten Inszenierung des Täters entspringen.«
Wirth verschränkte seine Wurstfinger über seinem stattlichen Bauch. Er sah Paul äußerst skeptisch an, und erst jetzt wurde Paul Wirths frappante Ähnlichkeit zu Schreinermeister Eder aus den Pumuckl- Filmen bewusst. Ein zweiter Gustl Bayrhammer stand vor ihm! Allerdings einer, der nicht bayerisch, sondern fränkisch sprach: »Habe ich gehört. Da halte ich gar nichts davon. Das wird völlig überbewertet.«
»Die Symbolik der Tatorte – Ihre Kulissen! – wird überbewertet? Stapeln Sie da nicht etwas zu tief?« Paul versuchte, Wirth aus der Reserve zu locken.
Doch der blockte ab: »Nein, das ist ein Gschmarri. Nur eine fixe Idee von den Kommissaren. Mehr nicht.«
»Aber, Herr Wirth, ich frage mich eben: Warum macht sich der Mörder so viel Mühe und führt seine Taten passend zu der Todesursache in einem ganz bestimmten Bühnenbild aus? Doch sicher, um uns eine Botschaft zu senden!«
»Botschaft? Nein!« Wirth schnaufte missgelaunt. »Wenn überhaupt, dann hat der Mörder nur eine Nachricht für uns: Er räumt unangenehme Zeitgenossen aus dem Weg, tut damit der Allgemeinheit einen Gefallen und hält uns allen vor, dass wir zu feige oder träge sind, selbst etwas zu unternehmen. Das ist ein Mann mit Charakter und Mumm und Humor noch dazu! Er führt die Bullerei an der Nase herum. Macht einen auf Psychopath, weil er weiß, dass die Schnüffler einen Mordsrespekt davor haben und alles Mögliche in die Spuren hineindeuten. Vor allem in die Fundorte, die Kulissen. Aber ich sage nur: Gschmarri! Unsere Bühnenbilder sind nichts Solides. Bloß Pressholz, Kleister und ein bisschen Farbe. Nicht belastbar. Genauso wenig wie die Vorstellung, die Tatorte würden irgendetwas über den Mörder verraten. Das ist die völlig falsche Spur! Total daneben. Aber ich gönne dem Täter seinen Vorsprung. Er zeigt es denen jedenfalls einmal, diesen Großkopferten!«
Paul sah den Bühnenbildner eine Weile nachdenklich an. Dann warf er einen letzten Blick auf die Fragmente der griechischen Säulen und verabschiedete sich.
Hatten die Fundorte der Toten inmitten der Opernkulissen tatsächlich nichts zu sagen, fragte er sich im Gehen, oder wollte »Schreinermeister Eder« ihn das nur glauben machen? Immerhin sympathisierte er ganz offenkundig mit dem Mörder.
18
Als Paul am
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